Streit um Verfassung blockiert Irak

Iraks Fraktionen einigen sich nicht auf gemeinsamen Verfassungsentwurf; die Parlamentssitzung, bei der abgestimmt werden sollte, wurde abgesagt. In Bagdad und anderen Städten liefern sich unterschiedliche schiitische Milizen heftige Kämpfe

AUS ERBIL INGA ROGG

Die irakischen Fraktionen haben auch im dritten Anlauf keine Einigung über den Verfassungsentwurf erzielt. Wenige Stunden vor Ablauf der neuen Frist für die Verabschiedung der Verfassung wurde aber die für gestern Abend anberaumte Sitzung der Nationalversammlung abgesagt.

Am Montag hatte Parlamentspräsident Hadschim al-Hassani die Frist um drei Tage verlängert, um weitere Verhandlungen mit den arabischen Sunniten zu ermöglichen. Ein neuer Termin sei nicht angesetzt, sagte Parlamentssprecher Bischro Ibrahim.

Am Vorabend der Parlamentssitzung kam es am Mittwoch zu teilweise schweren Zusammenstößen zwischen unterschiedlichen schiitischen Milizen. Zwei Minister und 21 Abgeordnete von der Liste des radikalen Predigers Muktada al-Sadr haben daraufhin gestern ihre Mitarbeit in der Regierung und der Nationalversammlung aufgekündigt. In einer Ansprache im staatlichen Fernsehsender versuchte Regierungschef Ibrahim Dschaafari die Wogen zu glätten, indem er die Iraker zu Besonnenheit aufrief. Für die Sprache der Gewalt sei im neuen Irak kein Platz, so Dschaafari. Statt sich gegenseitig zu bekämpfen, sollten die Iraker gegen ihre Feinde antreten.

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag hatten sich Kämpfer der so genannten Mahdi-Armee von Muktada al-Sadr mit der Badr-Miliz des Hohen Rats für die islamische Revolution (Sciri) und Anhängern von Dschaafaris Dawa-Partei in verschiedenen Städten des Irak teils heftige Schießereien geliefert. Die Kämpfe brachen aus, als in Nadschaf mehrere hundert Demonstranten gegen die Wiedereröffnung einer Vertretung von Sadr vor den Toren des Imam-Ali-Heiligtums protestierten. Das Büro war vor einem Jahr geschlossen worden, nachdem die Mahdi-Armee eine empfindliche Niederlage gegen die US-Amerikaner erlitten hatte. Bei den Zusammenstößen in Nadschaf wurden nach Krankenhausangaben mindestens sieben Personen getötet.

Von Nadschaf breiteten sich die Kämpfe in der Nacht auf Donnerstag wie ein Lauffeuer über weitere Städte im Südirak aus. Im südirakischen Basra und Amara überfielen Sadr-Milizionäre Niederlassungen der Badr-Miliz. Im südlich von Nadschaf gelegenen Diwanija errichteten Mahdi-Kämpfer Checkpoints und brachten nach Polizeiangaben Teile der Stadt unter ihre Gewalt. Im Bagdader Stadtteil Nahrawan setzten Badr-Milizionäre ein Gebäude der Sadr-Gruppierung in Brand, woraufhin im Gegenzug eine Niederlassung der Badr-Miliz im Bagdader Armenquartier Sadr City in Flammen aufging.

Laut einem Sprecher des Innenministeriums sollen Sadr-Anhänger zudem Büros der Dawa-Partei von Regierungschef Dschaafari überfallen haben. Die Lage beruhigte sich erst, nachdem Sadr seine Anhänger an einer Pressekonferenz in Nadschaf aufrief, die Waffen niederzulegen. „Ich werde den Angriff nicht vergessen“, sagte Sadr. Die kritische Zeit, die der Irak derzeit durchlaufe, verlange jedoch die Geschlossenheit aller Iraker.