Kraft der Krankheit

Deutschland (17) – die wöchentliche Kolumne aus der Republik von Henning Kober. Heute: Vom Verschwinden

Vorgestern denke ich übers Sterben nach. Es ist früh am Morgen, die Sterne stehen noch stark im Dunklen. Sitz zwischen ein paar in der 25 am Strand der Spree. Alle zittern und zeigen eine Ecke Seele, aber es ist egal.

Ich bin keine 40 Stunden zurück in Berlin und schon wieder rasant ratlos zwischen all den gelösten Aggregaten meiner Schuld, oder Unschuld. Das bisschen Thai-Glück ist tapeziert. Und jetzt, was machen wir? Sich ein Ekzem kratzen, zum vierhundertsten Mal auf Toilette oder in den Schlaf schubsen? Würd gern meinen Berater Valtin anrufen, aber es geht nicht. So denke ich an Erlöser Ende und wie wenig es mir ausmachen würde, nämlich nichts.

Lalala, aus der Hütte spielt die Musik, Judy Garland oder einfach ein anderer Elektro-Bass. Jemand erzählt was vom Gefängnis, lacht. Es geht um seinen Vater und dessen Republikflucht. Jan baut einen Joint. Denke dann an die zwei, drei echt Traurigen und es kümmert mich.

Sitz dann am nächsten Morgen im nächsten Flucht-Flieger, die Stimmung gedreht. Blättere durch die Zeitungen und lese über den Piano-Mann. Der sich im Eurostar nach Großbritannien treiben ließ, um im Wasser zu treiben. Der in eine Klinik kam und statt zu sprechen malte. Der nicht tat, was er nicht wollte. Obwohl die Öffentlichkeit gierig an seiner Identität rätselte.

Jetzt hat er das Sommer-Thema einfach wieder weggenommen. Gesagt, dass er 20 ist, aus Waldmünchen, Oberpfalz, sein Vater einen Bauernhof hat. Sein halbes Gesicht ist in die Zeitung gedruckt. Ich bewundere die Entschlossenheit des Piano-Manns zum Fuck-off ohne ein schmutziges Wort. Aus der Ratlosigkeit ein Rebell, das ist toll. Beweist mal so eben: Dass die Besten jung sterben, ist eine Legende. Krankheit gibt Kraft.

Und ich? Bin in einem fernen Land, in dem es Scheiße staubt. Heilung Hölle. Vielleicht klappt’s ja. Bestimmt, morgen weiter, g’scheiter.