die woche in berlin
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Erneut sollen Polizisten Flüchtlinge misshandelt haben, als sie sie zur Ausreise zwangen. Die CDU schlägt vor, Autos nachts auf Supermarkt-Parkplätzen zu stationieren. Der ehemalige Leiter der DDR-Gedenkstätte Hohenschönhausen war kurz zurück an seinem Arbeitsplatz, bevor er zum zweiten Mal rausflog. Am Spreeufer versucht der Holzmarkt, wenigstens noch die letzte Ecke seines Eckwerk-Plans zu retten

Abschiebung im Nachthemd

Flüchtlingsrat erhebt schwere Vorwürfe

Abschiebungen erscheinen derzeit offenbar als Lösung für viele Probleme. Wurde ein Flüchtling straffällig, fragen nicht mehr nur rechte Politiker, sondern inzwischen auch Journalisten seriöser Medien: Hätte er nicht abgeschoben werden können? Viele Leute sind sich nicht zu schade, die Behörden auf ihr Versäumnis hinzuweisen, wenn sie nicht schnell genug abschieben.

Ist deshalb die Reaktion von Behördenmitarbeitern verständlich, um jeden Preis abschieben zu wollen und Menschenrechtsstandards nicht so genau zu beachten? Noch sind es nur Behauptungen, die der Flüchtlingsrat am Dienstag gemacht hat: Flüchtlinge seien in Nacht- und Unterwäsche aus Berlin abgeschoben worden. Sie hätten weder Gepäck noch Handy mitnehmen dürfen. Sie hätten keine Gelegenheit gehabt, ihren Anwalt zu kontaktieren, um die Abschiebung vielleicht noch im letzten Moment zu verhindern. Die Flüchtlinge sollen von Polizisten mit Pfefferspray, Elektroschockern und Fußtritten bearbeitet worden sein.

Am Donnerstag legte Nora Brezger vom Flüchtlingsrat gegenüber der taz noch einmal nach: „Seit der Veröffentlichung haben sich weitere Mitarbeiter von Wohnheimen und betroffene Flüchtlinge bei uns gemeldet, die von ähnlich schockierenden Vorfällen bei Abschiebeflügen berichteten.“ So sollen mehrere Familien durch Abschiebungen getrennt worden sein, was die Koalitionsvereinbarung eigentlich ausschließt.

Es wird Zeit, das Thema Abschiebungen mal wieder aus Sicht der Betroffenen zu diskutieren: Aus der Sicht von eritreischen Flüchtlingen beispielsweise, die nicht nur in ihrem Herkunftsland, sondern auch auf der Flucht in Libyen unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert waren, die sich mit wackligen Booten unter Lebensgefahr über das Mittelmeer retteten und in Italien obdachlos ausgesetzt wurden. Die in Berlin nach Jahren auf der Flucht endlich wieder ein Zuhause gefunden hatten, Deutsch lernen und jetzt wieder in das Italien zurücksollen, wo ihnen Obdachlosigkeit und Bettelnmüssen drohen, wenn nicht sogar die Abschiebung nach Eritrea. Aus dieser Sicht sind es Selbstverständlichkeiten, die der Flüchtlingsrat da fordert: den Paradigmenwechsel in der Abschiebepolitik, den die Koali­tions­vereinbarung vorsieht, auch umzusetzen. Keine Familie soll durch eine Abschiebung getrennt werden. Es bedarf einer unabhängigen Beschwerdestelle und einer unabhängigen Abschiebebeobachtung. Doch in einer Debattenkultur, die Abschiebungen als Lösung für alle möglichen Probleme preist, haben es solche Forderungen schwer, Gehör zu finden.

Marina Mai

Keine Familie soll durch eine Abschiebung getrennt werden

Marina Mai über Abschiebungen, die manchmal brutal vonstatten gehen

Super vor den Märkten parken

CDU schlägt Alternative für Anwohner vor

Des einen Freud, des anderen Leid: Für die künftigen, hoffentlich zahlreichen breiten Radstreifen, die das Mobilitätsgesetz verspricht, werden viele Parkplätze wegfallen. Klasse, meinen sinngemäß die Grünen, dann schaffen die Leute ihr Auto ganz ab. Schön gedacht, aber nicht alltagsnah, wie so manches bei den Grünen: Viele sind trotz Bussen, Bahnen und Lastenrädern auf das Auto angewiesen – oder glauben es zumindest. Wer diese Gruppe nicht komplett vergrätzen will, muss ihr zumindest übergangsweise eine Alternative bieten, wie sie jetzt die CDU vorschlägt: Supermärkte sollen ihre Parkplätze nachts für Anwohner freigeben.

„Überzeugen“ war ein oft gehörter Begriff beim jüngsten Grünen-Landesparteitag, überzeugen wolle man, statt vorzuschreiben und zu verbieten. Wenn das für die dort diskutierte Bildungspolitik gilt, warum dann nicht auch beim Verkehr? Es muss einen Übergang geben statt radikaler Schnitte – selbst bei den umstrittenen Ferienwohnungen hatten Eigentümer zwei Jahre Zeit, sich auf neue Vorschriften einzustellen. Deshalb kann man nicht wie der Grünen-Abgeordnete Harald Moritz schlicht sagen „Die Bereitstellung von Parkplätzen ist keine öffentliche Aufgabe.“ Oder genauer: Man kann es tun, muss sich dann aber nicht wundern, wenn sich der Grabenkampf zwischen Radlern und Autofahrern verschärft.

Und nur zu sagen: „Pfiffige Idee“ – was die CDU da vorschlage, dürfe aber nichts kosten, wie es Radaktivist Heinrich Strößenreuther macht, hilft auch nicht weiter. Denn natürlich werden die in Frage kommenden Supermärkte etwas dafür haben wollen, dass sie ihre sonst oft mit Schranken abgesperrten Parkflächen nachts öffnen. Im besten Fall lassen sie sich breitschlagen, damit einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Miteinander zu leisten. Aber selbst dann wäre das Land in der Pflicht, sich zu beteiligen: Vor allem dabei, sicherzustellen, dass der Parkplatz am nächsten Morgen bei Geschäftsöffnung wieder leer und für die eigentliche Klientel nutzbar ist: die zahlende Kundschaft.

Gibt es eine solche Übergangslösung nicht, entscheidet allein die Dicke des Bankkontos darüber, wer noch in der Innenstadt parken darf: Reichere werden sich auch bei horrenden Preisen immer einen Platz in einer privaten Parkgarage sichern können. Die weniger Begüterten hingegen werden sich überlegen müssen, ihren Wagen abzuschaffen oder keinen neuen mehr zu kaufen – gut für die Umwelt, aber äußerst schlecht für das soziale Klima in der Stadt. Stefan Alberti

Knabes kurzes Comeback

Für zwei Stunden zurück auf dem Chefposten

Erinnerungspolitik der DDR ist normalerweise nicht gerade ein Thema, für das sich die Öffentlichkeit brennend interessiert. Geändert hat das ein Vorfall zu Beginn dieser Woche: Hubertus Knabe kehrte am Montag für gerade mal zwei Stunden an seinen Chefposten der Gedenkstätte Hohenschönhausen zurück. Die einstweilige Verfügung, die seine Rückkehr ermöglichte, nachdem ihn der Stiftungsrat im September abberufen hatte, wurde kurz darauf vom Berliner Landgericht ausgesetzt – auf Initiative des Stiftungsvorsitzenden Klaus Lederer (Linke).

Noch mit dem Welcome-Back-Blumenbouquet in den Armen musste Knabe sein Büro wieder räumen. Nicht nur er selbst war darüber wütend. Am Mittwoch schimpfte Arnold Vaatz, VizcChef der Unions-Fraktion im Bundestag, in einer elf Punkte umfassenden Pressemeldung, das Gericht sei von Lederer „politisch unter Druck gesetzt“ worden. Vaatz schreibt von „einer nahezu kriminellen Energie“ bei der Absetzung Knabes und vergleicht sie mit Methoden von Diktaturen. Harte Worte und Vergleiche, die mehr als hinken. Der Behauptung, hinter Knabes Entlassung stecke eine Kampagne der Linken, widersprach laut Berliner Morgenpost der Brandenburger CDU-Landtags-abgeordnete Dieter Dombrowski, der im Stiftungsrat sitzt. Er verstehe die Aufregung nicht, schließlich habe sich die CDU bisher nicht gerade um die SED-Opfer verdient gemacht.

Das sind zwei Stimmen von vielen, die sich diese Woche über Knabe äußerten. Dass sich die Diskussion um DDR-Erinnerung an seinem Fall entzündet, ist nicht verwunderlich. 18 Jahre lang war Knabe als Chef der ­Gedenkstätte eine dominante Figur der DDR-Aufarbeitung. Harte Worte wählte er immer wieder, etwa als er bei seinem Antritt im Jahr 2000 die DDR auf eine Stufe mit dem NS-Regime stellte.

Gerade viele Betroffene fühlten, dass neben ihm kein Platz für eine andere, differenzierte Art der Erinnerung ist. Kritisieren wollten ihn nur wenige, um nicht in Verdacht zu geraten, DDR-Unrecht zu verharmlosen.

Harsch war wohl auch Knabes Führungsstil: Laut einem Bericht von Marianne Birthler, die der Stiftungsrat als Vertrauensperson für die Mitarbeiter*innen bestellt hat, herrschte ein Klima der Angst in der Gedenkstätte; alle Entscheidungen mussten über Knabes Tisch. Sexismus habe er nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert.

Das ist schlimm, vor allem für die Mitarbeiter*innen. Sie haben einen Arbeitsplatz verdient, an dem sie ohne Angst agieren können. Eine Neubesetzung des Chefpostens könnte nicht zuletzt auch die Chance für eine neue Richtung in der DDR-Erinnerung sein. Jana Lapper

Zweiter Akt: Kampf-ansage

Der Holzmarkt versucht, das Eckwerk zu retten

Der erste Akt war das Schrei­ben der Anwälte in der vergangenen Woche. Der Holzmarkt verklage Stadt und Bezirk auf 19 Millionen Euro Schadenersatz und Vertragseinhaltung, hieß es darin. Der zweite Akt folgte am Dienstag: Auf einer Pressekonferenz verkündeten die Leute vom alternativ-kreativen Projekt an der Spree, man habe einen „neutralen“ 90-Tage-Rat installiert. Ex-Justizsenator Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Grüne), Architektin Barbara Hoidn sowie Clubbetreiber und Projektentwickler John Schierhorn sollen nun versuchen, innerhalb von drei Monaten so viel wie möglich von den Eckwerk-Plänen des Holzmarkts zu retten.

Der Holzmarkt ist das jüngste Baby der Betreiber der verflossenen Bar25, er war das Lieblingsprojekt der Berliner Politik bis vor zwei Jahren. Nun hat er das Kriegsbeil endgültig erhoben. Die Betreiber fühlen sich im Stich gelassen. Seit anderthalb Jahren brummt zwar das bunte Holzmarkt-Dörfchen inklusive Restaurant und Club. Doch anders als vom früheren grünen Baustadtrat Hans Panhoff versprochen, durften die Holzmarkt-Leute nie das dazugehörige Eckwerk am anderen Ende des Grundstücks bauen, das eine Schweizer Stiftung 2012 erworben, an den Holzmarkt verpachtet und damit verhindert hat, dass an der Spree immer weitere Glastürme für Büros entstehen. Das Eckwerk sollte ein Ort werden, wo Arbeiten und Wohnen Hand in Hand gehen – und das beweist, dass auch Hippies erwachsen werden können.

Der Vorwurf des Holzmarkts an den Bezirk lautet, dass er sich nie mit ihnen an einen Tisch gesetzt, dass er die Entwicklung des Eckwerks seit zwei Jahren ausgebremst habe. Das mag stimmen, der grüne Baustadtrat von Friedrichshain Kreuzberg, Florian Schmidt, setzt derzeit tatsächlich eher auf sozialverträgliche Mieten denn auf kreative Freiräume. Trotzdem hat Schmidt recht, wenn er sagt, wie befremdlich er das Vorgehen findet: Erst zu klagen und dann einen angeblich neutralen Rat einzuberufen, der einseitig festgelegt sei. Der Holzmarkt hat die falsche Reihenfolge gewählt. Das hat was von Erpressung. Deshalb steht er trotz prominenter Unterstützung seit dieser Woche wieder unglaubwürdiger dar.

Susanne Messmer