Touristenstau
: Alzheimer, Tourette

Meine Güte, gibt es in Amerika denn keine Bücher mehr?

Ich fahre am Schloss Bellevue vorbei und denke, dass vor meiner Wohnung aber ein paar mehr Touristen stehen und gucken als vor der Wohnung von Gauck, dessen Vorname mir gerade nicht einfällt. Johannes? Nein. Dieter? Auch nein. Erich? Quatsch. Aber wahrscheinlich bin ich nicht der Einzige, dem der Vorname von Gauck gerade nicht einfällt, und deshalb gehen da wahrscheinlich auch so wenig Leute hin. Außerdem ist er meistens sowieso nicht zu Hause. Ich hingegen sitze meistens vor dem Fenster und gucke hinaus, während die Touristen hereingucken. Das ist manchmal fast schon der Beginn einer Freundschaft. Na ja, nicht wirklich. Dann bleiben sie stehen und zeigen auf mich. Oder sie fotografieren das Haus, was mich wundert, denn auch wenn das Haus ordentlich Stuck hat, sieht es aus wie die meisten Häuser hier in der Gegend.

Als wieder mal ein paar Amerikaner stehen bleiben und ich vom Einkaufen kommend an ihnen vorbeigehe, frage ich, etwas schlecht gelaunt: „What the fucking hell you are looking at?“ „Oh, there’s a library“, sagt einer. Stimmt, man kann von außen Regale sehen mit Büchern drin, aber so richtig sensationell finde ich das jetzt nicht und denke, meine Güte, gibt es in Amerika denn keine Bücher mehr?

In der Goldmarie, das von Touristen besetzt ist, spitze ich die Ohren, weil eine ältere Dame ständig „Arschloch“ sagt, was im allgemeinen Sound of Quarkel auffällt, wobei mir der Zusammenhang unklar ist, weil sie einen Dialekt spricht, den ich bis auf „Arschloch“ nicht verstehe. Die Frau neben ihr, wahrscheinlich die Tochter, zischt irgendwann: „Jetzt hör doch mal auf. Das hört sich ja an, als ob du an dem … Scheiße, wie heißt das Syndrom noch mal, wenn einer ständig flucht?“ „Alzheimer?“, fragt die Mutter. Plötzlich fällt mir der Vorname von Gauck wieder ein, dafür überlege ich jetzt, wie diese Krankheit heißt.

KLAUS BITTERMANN