Das papierne Idyll

VON COSIMA SCHMITT

Sie klingt verlockend, die neue deutsche Kitawelt: Schon Zweijährige gehen in den Kindergarten. Studierte Fachkräfte umsorgen die Kleinsten, fördern die Entwicklung des Kinderhirns, mindern Herkunftsnachteile. Das zumindest ist die Vision, die der heute veröffentlichte Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung umreißt.

Einmal in jeder Legislaturperiode durchleuchten Forscher das Kinder- und Jugendleben der Nation. Experten rund um Thomas Rauschenbach vom Deutschen Jugendinstitut entwarfen das aktuelle Papier, das der taz vorab vorliegt. Darin fordern die Autoren einen konkreten Zeitplan: Ab 2008 sollen auch Zweijährige einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz haben. Ab 2010 soll dies von Geburt an gelten. Der Staat müsse dafür jedes Jahr bis zu 2,7 Milliarden Euro Extrakosten einplanen.

Denn noch offenbart der Bericht ein Mangelszenario. So lebt das Kindergartenkind in fast männerfreiem Terrain. Ist die Mutter alleinerziehend, hat es gute Chancen, bis zur Pubertät keinem einzigen männlichen Vorbild zu begegnen. Schließlich ist derzeit nur 1 von 37 frühpädagogisch Tätigen ein Er. Als verbesserungsbedürftig werten die Autoren auch den „Erzieher-Kind-Schlüssel“: Noch kümmert sich 1 Erzieherin um etwa 13 Kinder. Akzeptabel aber sei nach Stand des Wissens lediglich ein Verhältnis von 1 : 10. Das heißt: Der Staat müsste 54.000 weitere Fachkräfte einstellen.

Vor allem aber bemängelt der Bericht die Erziehendenausbildung. Das Kitakind wird weit öfter von einer Praktikantin als von einer studierten Pädagogin umhegt (siehe Grafik). Das Gros der Angestellten hat sich an einer Fachschule für die Herausforderung Kind gerüstet. Der Haken, so der Bericht: Sie erhalten dort ein Breitbandwissen, für dessen Themenfülle die Ausbildungszeit „nicht angemessen“ sei. Die Autoren fordern, „die Erzieherausbildung mittelfristig auf Hochschulniveau anzuheben“. Ein Vorbild wäre Schweden, das neuerdings Erzieher und Grundschullehrer gemeinsam studieren lässt.

Als erster Schritt sollten hierzulande die LeiterInnen berufsbegleitend ein Aufbaustudium absolvieren. Denn selbst wenn ab 2010 nur noch studierte Kräfte eingestellt würden, wäre erst etwa 2035 das gesamte Personal akademisch gebildet. Der Bericht empfiehlt daher „Im-Haus-Trainings“, um die gröbsten Defizite zu begleichen. Und er fordert, mittelfristig müsse der Kindergarten gratis sein. Zudem raten die Autoren, den Nachwuchs früher in die Klassenzimmer zu entlassen: Das Alter der Schulanfänger sollte von derzeit 6,7 auf 6,0 Jahre sinken.

Große Chancen auf Umsetzung hat die schöne neue Krippenwelt indes nicht – dafür ist sie zu teuer. In ihrer Stellungnahme zum Bericht lobt die Regierung zwar die Ideenfülle. In der Praxis aber setzt sie auf Reförmchen statt einer Radikalkur. Es sei „verfrüht“, über einen Rechtsanspruch auf Betreuung für alle Kinder unter drei Jahren nachzudenken. Erst mal müsse man abwarten, wie schnell der bisher geplante Kitaausbau vorangeht. Ebenso wenig sei kurzfristig ein Gratis-Kindergarten finanzierbar. Auch der Idee der Kindergärtnerin mit Hochschulweihen erteilt die Regierung eine Absage. Es gebe „keine Belege, dass eine Ausbildung auf höherem Niveau zu einer Qualitätsverbesserung führt“. Die Regierung will stattdessen „im Rahmen der Fachschulausbildung Verbesserungen erreichen“. Lediglich das Leitungspersonal soll schon kurzfristig „Möglichkeiten der Weiterbildung auf Hochschulniveau“ erhalten.

Hinter so viel Zaudern steckt wohl ein nicht offen benannter Grund: Eine studierte Kitakraft müsste der Staat weit höher entlohnen als die Fachschülerin. Und in Wahlkampfzeiten scheut die Regierung Versprechen, für die sie keine Finanzierungsidee vorlegen kann. Das deutsche Kita-Idyll – noch scheitert es am Geld.