Kiffen im Dunstkreis der Toleranz

Die liberale Drogenpolitik der Stadt Venlo lockt täglich tausende Kiffer aus NRW an. Der Steuerertrag ist hoch. Doch die Käufer machen nicht nur Freude

von HENK RAIJER

Legales Dope am Bahnhofskiosk von Kaldenkirchen. So in etwa stellt sich der Venloer Ratspolitiker Hans van Berkum ein Experiment vor, das die Probleme mit Drogentouristen aus NRW in seiner Stadt auf einen Schlag lösen könnte. Wenn nur Städte und Gemeinden auf deutscher ähnlich wie Venlo auf holländischer Seite eine begrenzte Zahl von „Coffeeshops“ tolerieren würden, so der Christdemokrat, wäre der Ärger, den die Stadt mit dem täglichen Ansturm von bis zu 4.000 jugendlichen Drogenkäufern aus dem Nachbarland hat, bald aus der Welt. „Es hat sich doch gezeigt, dass wir in Venlo, seit wir die illegalen Verkaufsstellen geschlossen haben und einige Coffeeshops dulden, die Drogenszene eindeutig besser unter Kontrolle haben.“

Der Vorschlag aus den Reihen der Venloer Schwesterpartei ruft bei der CDU in NRW blankes Entsetzen hervor. Schon seit Venlo Mitte vergangenen Jahres zwei der insgesamt fünf Coffeeshops aus dem Zentrum an die Peripherie verlagert hat, wittern Landes- und Kommunalpolitiker ein einziges Sodom und Gomorrha an der alten Staatsgrenze. Stefan Berger, Abgeordneter der CDU im Düsseldorfer Landtag, lehnt das Ansinnen radikal ab. „Coffeeshops haben in Deutschland keinerlei rechtliche Grundlage“, sagt der Viersener. „Die Niederländer handhaben das anders als wir, aber das ist ihre Sache. Die CDU verfolgt in Sachen Drogen eine Null-Toleranz-Politik, und das wird sich so schnell nicht ändern“, so Berger. „Im Übrigen habe ich meine Zweifel, ob der niederländische Weg der erfolgreichere ist.“

Eine Position, die auch in seinem Wahlkreis Viersen Unterstützung findet. „75 Prozent der Deutschen lehnt jegliche Freigabe von Drogen ab“, weiß Hans Josef Kampe, Geschäftsführer der Viersener CDU und im Vorstand der örtlichen Drogenberatung. „Ein solches Experiment wäre politischer Selbstmord“ (siehe Interview unten).

Auch Bernhard Müller-Wirtz, SPD-Stadtverordneter in der Venloer Nachbargemeinde Nettetal, hält den Vorschlag, den Verkauf weicher Drogen auch auf deutscher Seite zu dulden, für eine eher „dubiose Idee“. Die Jugendlichen, die nach Venlo führen, um Drogen zu kaufen, machten den Kommunen im Umkreis auch so schon genug zu schaffen. „Da werden Fahrräder geklaut, mit denen sie auf Schleichwegen über die Grenze fahren“, sagt Müller-Wirtz. Auch würden seit Eröffnung der beiden Coffeeshops im Einzugsbereich der niederländisch-deutschen Grenze mehr Einbrüche gemeldet. Und die Jugendlichen marschierten, um möglichen Kontrollen der Polizei zu entgehen, schon mal entlang der Gleise zwischen Kaldenkirchen und Venlo und brächten damit sich und andere in Gefahr. „Die Holländer haben für unsere Position schlichtweg kein Verständnis“, klagt er. Und macht seinerseits den Venloern einen Vorschlag, wie sie die Probleme mit den Drogentouristen eindämmen könnten: „Am besten wäre es, sie würden die Coffeeshops auf der anderen Seite der Maas einrichten“, so Müller-Wirtz. „Das würde die deutschen Käufer entmutigen, da kämen sie nicht so bequem hin.“

Begonnen hatten die Probleme mit Schengen. Seit 1995 ist Venlo, „Butterfahrern“ von Rhein und Ruhr seit Jahrzehnten ein Begriff, für junge Deutsche das Einfallstor zum Drogenmekka Niederlande. Die Gefahr, von deutschen Grenzschützern mit Marihuana oder Gras im Gepäck erwischt zu werden, ist seit der Öffnung der innereuropäischen Grenzen relativ gering. Ein Teil der deutschen Jugendlichen frequentierte von Anfang an die fünf genehmigten Coffeeshops. Aber die durch die Grenzöffnung gestiegene Nachfrage ließ auch die Zahl illegaler Verkaufsstellen schnell auf über sechzig steigen – und das in einem relativ kleinen Viertel in unmittelbarer Nähe des Maasufers. Die Folgen: Krach, Gestank und Kriminalität. Anwohner fühlten sich durch nächtliches An- und Abfahren von Autos, Pöbeleien auf der Straße und Pinkeln in ihren Hausfluren belästigt. Straßenhändler sprachen Passanten an und schüchterten sie nicht selten ein.

Da trat im Jahre 2001 „Hektor“ auf den Plan. In einer konzertierten Aktion, an der sich bis heute neben Polizei und Justiz auch das Finanzamt sowie die Steuer- und Zollfahndung beteiligen, erobert die Stadt Venlo seither Schritt für Schritt den öffentlichen Raum zurück. Ziel der „Operation Hektor“ war und ist, den Zustrom tausender Drogentouristen aus dem nahen Deutschland einzudämmen, der mit dem illegalen Handel mit weichen Drogen einhergehenden Kriminalität ein Ende zu machen, die illegalen Shops im Zentrum der 90.000-Einwohner-Stadt zu schließen und schließlich zwei Immobilien „für den legalen Verkauf weicher Drogen deutlich außerhalb der Innenstadt“ zu erwerben.

„Oase“ und „Roots“ heißen die beiden Coffeeshops, die nun seit 2004 in den Räumen der früheren LKW-Raststätte Schwanenhaus am alten Grenzübergang nach strikten Regeln Dope verticken: Eintritt ab 18 Jahren, kein Verkauf von alkoholischen Getränken oder harten Drogen, Höchstverkaufsmenge fünf Gramm Haschisch oder Marihuana pro Person. Zusammen mit den drei in der Stadt verbliebenen Verkaufsstellen machen sie heute einen Jahresumsatz von bis zu 18 Millionen Euro – was den holländischen Fiskus freuen dürfte, der daran ordentlich mitverdient.

Und genau darum sollte es auch in Deutschland gehen, meint Marianne Lipp. Die Kreisgeschäftsführerin der Viersener Grünen befürwortet einen offenen Umgang mit weichen Drogen. Sie begrüßt die Läden an der Venloer Stadtgrenze und kann sich „gut vorstellen, auch bei uns einen Coffeeshop zu eröffnen – allerdings dort, wo wir die Jugendlichen auch erreichen und ein Stück weit begleiten können“, so Lipp. „Die Politik hierzulande sollte endlich einsehen, dass der Konsum von Haschisch oder Marihuana eine Tatsache ist.“