Zu krank für die Abschiebung

In Hamburg haben 389 osteuropäische Obdachlose das Recht zur Freizügigkeit innerhalb der EU verloren

Statt Rückreisehilfe anzubieten, sollte die Stadt den osteuropäischen Obdachlosen dabei helfen, Arbeit zu finden

Von David Günther

Wer in Hamburg obdachlos und Ausländer ist, muss damit rechnen, dass sein Aufenthaltsrecht erlischt. Seit 2017 haben 389 europäische Obdachlose ihr Recht auf Freizügigkeit in der EU verloren. Davon wurden 21 tatsächlich abgeschoben, so die Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linksfraktion.

Mit dem Entzug des Freizügigkeitsrechts fordert die Ausländerbehörde europäische Obdachlose dazu auf, in ihr Heimatland zurückzukehren. Laut der letzten Erhebung ­leben 2.000 Obdachlose aus dem europäischen Ausland in Hamburg. Die Diakonie schätzt die Dunkelziffer aber weit höher.

Seit März 2017 wird gezielt nach osteuropäischen Obdachlosen gesucht, um ihr Recht auf Freizügigkeit zu überprüfen. Können die Betroffenen nicht drei Monate nach ihrer Ankunft nachweisen, dass sie ihre Existenz selbst sichern oder eine Arbeit haben, so werden sie zur Ausreise aufgefordert. Wer nicht freiwillig ausreist, wird abgeschoben. Doch viele der Betroffenen können nicht ausreisen, da sie zu krank sind. Genaue Zahlen dazu gibt es von den Behörden nicht. Auch zur Frage, wer von dieser Gruppe über die Behörde medizinische Hilfe erhält, gibt es keine Daten.

Im Dezember haben sich VertreterInnen von Sozial- und Innenbehörde getroffen, um eine Lösung für die Situation der Nicht-Rückreisefähigen zu finden. Künftig soll suchterkrankten Obdachlosen geholfen werden, wenn sie sich zuvor dazu verpflichten, nach ihrer Therapie auszureisen. Außerdem sollen den Betroffenen Unterkünfte vermittelt werden. Genauere Informationen gibt es von den Behörden bislang nicht.

Durch den Entzug der Freizügigkeit wird die Arbeitssuche in Deutschland deutlich schwieriger. Viele Betroffene verlassen ihre gewohnten Schlafplätze, um nicht erneut aufgegriffen und möglicherweise abgeschoben zu werden. Damit werden sie auch für Hilfsangebote schwieriger erreichbar. „Wenn die Obdachlosen abtauchen, kann auch das Hilfswerk sie nicht finden und ihnen Hilfe anbieten“, sagt Johann Graßhoff vom diakonischen Hilfswerk Hamburg. Dazu kommt, dass vielen Betroffenen gar nicht mitgeteilt werde, dass ihnen das Recht auf Freizügigkeit entzogen wurde.

Die von der Behörde angebotene Rückreisehilfe wird von den wenigsten angenommen, auch dann nicht, wenn die Betroffenen reisefähig sind. Laut Graßhoff gilt für sie: Lieber auf der Straße in Deutschland als im Heimatland. Statt Rückreisehilfe anzubieten, sollte die Stadt den osteuropäischen Obdachlosen dabei helfen, in Deutschland Arbeit zu finden, und sie so resozialisieren, fordert der Diakonie-Mitarbeiter.

Die Linksfraktion will sich mit der Antwort des Senats nicht zufriedengeben. Sie will nun wissen, wie die Reisefähigkeit diagnostiziert wird und welchen Aufenthaltstitel diejenigen haben, die ausreisepflichtig, aber nicht rückreisefähig sind.