CDU-Visionen ohne Zukunft
: KOMMENTAR VON DIETMAR BARTZ

Als „Vision“ hat Angela Merkel die Steuerreformpläne ihres Finanzexperten Paul Kirchhof bezeichnet. Recht hat sie: Ein Regelsteuersatz von 25 Prozent, dessen Varianten für Wenigverdiener nur noch als Ausnahmen gelten sollen, verwirft das bisherige deutsche Steuerverständnis. Dieses besagt, dass unterschiedliche Leistungsfähigkeit auch eine unterschiedliche Besteuerung erlaubt. Mit einer „flat tax“ will Kirchhof das Gegenteil: unterschiedliche Leistungsfähigkeit gleich besteuern.

In der Praxis begünstigt das Ende der Progression die Gutverdienenden. In der Theorie zerfällt die Steuer in eine Einnahme- und eine Lenkungsfunktion. Das ist so banal wie richtig. Die „Vision“ besagt aber auch: „Steuern sollen finanzieren, nicht steuern“ (Kirchhof). Und das ist so schlicht wie falsch. Diese beiden Eigenschaften sind nicht zu trennen, staatliche Einnahmen und Ausgaben bedeuten immer Umverteilung, sei sie gewollt oder nicht, sei sie von West nach Ost oder von oben nach unten – oder aber von unten nach oben, wie sich aus Kirchhofs Verständnis vom Wesen der Besteuerung ergibt.

Seine „Vision“ ist doppelt widersprüchlich. Mit der Beibehaltung des Ehegattensplittings rettet er seinen Wertkonservativismus vor der eigenen neoliberalen Rigorosität, wie zu Recht in den letzten Tagen belustigt beobachtet wurde. Aber zugleich will er nicht nur, ganz Neoliberalismus, den Markt entstaatlichen, sondern auch, ganz Biedermeier, den Staat entpolitisieren – ein Idyll ohne jede Umverteilung, das damit in der alten Theorie endet, jeder solle nur so viel vom Staat bekommen, wie er zahlt. Mit dem Gleichmacherischen seiner „flat tax“ ist Paul Kirchhof zugleich Angela Merkel ein Bruder im Geiste. Denn die Kanzlerkandidatin hat selbst eine Vision, die ebenfalls wohlweislich bisher nicht zur Umsetzung terminiert ist: ihre „Kopfpauschale“, der einheitliche Krankenversicherungsbeitrag. Er ist ebenso ungerecht wie der einheitliche Einkommensteuersatz, ebenso unfinanzierbar und behauptet ebenso vergeblich, dass mehr Transparenz zu mehr Gerechtigkeit führt. Merkels und Kirchhofs Denkprojekte sind nicht neoliberal, sondern unrealistisch. Das macht ihre Einordnung so schwierig – und einfach zugleich.