Zahllose Leichen, pädagogisch wertvoll

UNTERRICHT Der gesamte achte Jahrgang der Brokstraße spielt Theater. Ein aus Potsdam importiertes Modellprojekt, das zu allseits überzeugenden Ergebnissen führt: tote Schotten, zufriedene Schüler

Der „Schulversuch Brokstraße“ ermöglicht zeit- intensive Projektarbeit

Drei Dutzend Schüler fallen auf dem Pausenhof übereinander her, dreschen los, schenken sich nichts – und können das Ganze auch in Zeitlupe. „Macbeth siegt bei der Schlacht von Forres“, verkündet kurz darauf ein Tagesschau-Sprecher. Gewonnen haben auch Jörg Isermeyer und Kirsten Schillner, Theaterpädagogen an der Schule Brokstraße.

Mit fast 50 AchtklässlerInnen haben sie etwas gewagt, was man sonst nur von Waldorfschulen kennt: Ein gesamter Jahrgang spielt Theater. Wobei man bei Waldorfs eher auf Weihnachts- und Weihespiele steht statt auf ausufernde Gemetzel. Drei Wochen lang haben die Broksträßler täglich geprobt. Der Rahmen für dieses Engagement ist der kürzlich gestartete „Schulversuch Brokstraße“, der zeitintensive Projektarbeit ermöglicht.

Nach dem blutigen Prolog an der Tischtennisplatte geht’s munter weiter, König Duncan residiert im weit geöffneten Fenster eines Klassenzimmers und ordnet die ein oder andere Enthauptung an. Alles Trash? Überhaupt nicht. Auch Wieland kommt ausgiebig zu Wort, der klassische Shakespeare-Übersetzer: „Der alte Tor trägt keinen Titel mehr, so wenig wie noch seinen Kopf.“ Solche Sentenzen, gemünzt auf den glücklosen Thane of Cawdor, finden auch heutige Schüler toll – wenn sie sie, mitten auf der Berliner Straße auf einer Leiter stehend, laut skandieren dürfen. Denn ganz nebenbei ist das Jahrgangsprojekt auch eine Stadtteil-Erkundung.

Der Straßenraum mit umliegenden Balkons und Terrassen mutiert zum hysterischen Hexenkessel, auch das neue Kulturzentrum im benachbarten Wohnmobil-Bunker erweist sich als tauglicher Theaterort. In dessen dicken Mauern bricht sich Macbeths Wahnsinn vollends Bahn: „Fort, fort! Die Gräber spucken ihre Toten wieder aus!“

Der Schulversuch Brokstraße orientiert sich an der berühmten Helene-Lange-Schule in Wiesbaden, aber auch die Potsdamer Montessori-Schule gibt Impulse: Von dort hat Isermeyer das Jahrgangstheater mitgebracht. Bei allem Spaß am Wieland’schen Versmaß fertigen die Schüler natürlich auch eigene Übersetzungen an: „Wenn Du auch nur ein Ei noch in der Hose hast, machst du den König kalt – sonst kannst du jemand anders vögeln!“

Bemerkenswert, wie viele schauspielerische Facetten sich die SchülerInnen erarbeitet haben: Macbeth als Italo-Pate oder den Slang der Russen-Mafia imitierend, die Akte II und III sind als Computer-Rollenspiel angelegt. Wobei ein Klavier, ziemlich genial, das Tastatur-Gepiepe übernimmt. Dann mischt auch noch „RTL Royal“ mit Live-Reportagen das Schlachtfeld auf.

Inszeniert mit leichter Hand und sichtlichem Spaß liefert dieser Macbeth sogar eine finale Moral: König sein? Will keiner mehr. Theater spielen? Immer mehr.  HENNING BLEYL

Aufführung: 12 Uhr, Sielwall 86