Ansturm deutscher Medizinstudis auf Wien

Über die Hälfte der Bewerber fürs Medizinstudium in Österreich kommen aus dem Ausland, tausende aus Deutschland

FRANKFURT/MAIN ap ■ Als die Bewerbungsfristen für das Wintersemester abgelaufen waren, atmeten die österreichischen Hochschulplaner auf. Der befürchtete Ansturm auf Österreichs Universitäten ist zwar ausgeblieben. Doch bei den drei Medizin-Hochschulen der Alpenrepublik stapeln sich die Bewerbungen aus dem Ausland – die meisten von Deutschen. „Es zeichnet sich ab, dass der Anteil der ausländischen Bewerber deutlich über 50 Prozent liegt“, sagte ein Sprecher des Wiener Bildungsministeriums.

An der Medizinischen Universität Innsbruck haben von 2.700 Bewerbungen für das Fach Humanmedizin etwa 2.000 einen deutschen Poststempel. In Innsbruck gibt es keine Eingangstests für die Bewerber. Auslöser der studentischen Völkerwanderung war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Anfang Juli hatte er die Zulassungspraxis in Österreich aufgehoben, weil sie Landeskinder bevorzugte.

Daraufhin wurde ein Flut vor allem deutscher Studienbewerber befürchtet, die damit die Zulassungsbeschränkung in Numerus-clausus-Fächern wie Medizin oder Psychologie umgehen wollten. Sofort erlaubte die Regierung in Wien ihren Hochschulen, individuelle Zulassungsbeschränkungen in acht Studienfächern einzuführen.

Die Salzburger Nachrichten erfanden den „Numerus austriacus medicinalis“, einen Eignungstest für angehende Mediziner – voller Austriazismen. Beispiel: „Darf raunzendes Pflegepersonal scheanglnden Tachinierern ein Jaukerl geben?“ Das bedeutet in etwa, ob nörgelndes Pflegepersonal schielenden Drückebergern eine Spritze geben dürfe. Die 500 Studienplätze in Innsbruck werden allerdings nicht nach Sprachkenntnis, sondern nach Poststempel vergeben.

In Österreichs Bildungsministerium ist man nicht begeistert von dem Spruch der Luxemburger Richter. Österreich sei nun gezwungen, Zulassungsbeschränkungen einzuführen. „Das ist ein Eingriff in unser Bildungssystem“, hieß es. Die Immatrikulation von Studenten an der Medizinischen Universität Wien ist abgeschlossen: Insgesamt 260 Deutsche belegen die zur Verfügung stehenden 1.560 Plätze in Human- und Zahnmedizin. Im Vorjahr gab es nur 70 Deutsche.

Der Umzug deutscher Studenten nach Süden ist auch deshalb bemerkenswert, weil das Land vor wenigen Jahren noch als Beispiel dafür galt, wie Studiengebühren die Studiennachfrage senken. Nachdem die Österreicher Gebühren von rund 700 Euro pro Jahr eingeführt hatten, waren die Studierendenzahlen zunächst zurückgegangen. Der Run auf die Medizinplätze zeigt nun, dass Gebühren offenbar keine nachhaltig abschreckende Wirkung haben.

Bildungsministerin Elisabeth Gehrer möchte EU-Ausbildungskommissar Jan Figel auf die besondere Situation Österreichs aufmerksam machen – das von den deutschen Nachbarstudenten bedroht ist. Ein Ziel könnte eine EU-Richtlinie sein, die die vom Europäischen Gerichtshof aufgehobene ursprüngliche Praxis dann für die gesamte EU ermöglicht. DANIEL RADEMACHER