Pazifist, bis das Erbe winkt

„Kriegsbeute“, am Berliner Ensemble inszeniert von Laura Linnenbaum, behandelt die mangelnde Moral des Bürgertums am Beispiel einer Familie von Waffenfabrikanten

Von Mira Nagel

Um den drängenden Fragen der Zeit eine Bühne zu geben und um dem brechtschen Ausspruch „Das Theater ist tot“ etwas entgegensetzen, rief Oliver Reese zu Beginn seiner Intendanz am Berliner Ensemble das Autorenprogramm ins Leben. Seit September 2017 arbeiten AutorInnen aus den Bereichen Prosa, Film und Drama an der Entwicklung von Bühnenstücken.

„Kriegsbeute“, inszeniert von Laura Linnenbaum, ist so ein Stück, das im Rahmen des Autorenprogramms entstanden und dessen Thematik gesellschaftliche Brisanz hat. Die Drehbuchautoren Burhan Qurbani und Martin Behnke haben dabei eine Geschichte gestrickt, die eng mit der deutschen Waffenindustrie verknüpft ist.

In Zeiten, in denen so viele Waffen wie nie noch nie produziert werden und das Rüstungsunternehmen Heckler und Koch wegen illegaler Waffenexporte am Pranger steht, behandelt „Kriegsbeute“ ­Fragen von Schuld, Moral und Verdrängung.

Im Mittelpunkt des Stücks, das am Freitag Uraufführung hatte, steht Friedrich Bloch (Martin Rentzsch), der gealterte Kopf eines großen Waffenkonzerns. Auf seine alten Tage quält ihn sein Gewissen: Er lässt einen Obdachlosen in seiner Prunkvilla wohnen und verschenkt den gesamten Immobilienbesitz an die Stadt. „Emphatisch mit der Wucht einer Natronenbombe“ – empören sich seine Kinder über die plötzliche Barmherzigkeit. Sie sehen ihr Erbe dahinschmelzen und versuchen zu retten, was noch zu retten ist.

Da wäre Maria Bloch (Annika Meier), die einmal den Konzern übernehmen möchte. Die straff gezurrte Haartolle, die hochgezogenen Schultern in dem viel zu breit geschnittenen Jackett lösen sich mit dem Fortschreiten des Familienkonflikts. Die Zwillinge Bloch, grandios gespielt von Owen Kraushaar, sind ganz auf Linie mit dem väterlichen Waffenkonzern und entwickeln eine durch ünstliche Intelligenz gesteuerte Waffe, die sie dann konsequenterweise auch selbst umbringt – durch einen Programmierfehler.

Patriarch erschossen

Johannes Bloch (Gerrit Jansen), der Vierte im Bunde, möchte sich von dem mörderischen Geschäft seines Vaters abgrenzen, sagt er. „Unsere Familie hat so viele Leichen im Keller, dass sich das Parkett in der Villa aufgewölbt hat“, ereifert sich der Pazifist. Geht es ans Eingemachte, dann zieht er sein Erbe aber doch lieber der Karriere des Friedensaktivisten vor.

Schauplatz für den sich zuspitzenden Familienkonflikt ist ein von Valentin Baumeister konzipiertes großes Abflussbecken: Die sterilen, gekachelten Flächen kann man fast als Metapher für die emotionale Distanziertheit der einzelnen Familien­mitglieder zueinander verstehen. Da wird aneinander vorbeigeredet, gedroht – und schließlich sogar geschossen.

Der trockene Humor wird nur an ein paar Stellen durch so etwas wie kitschige Sentimentalität unterbrochen: etwa, als der alte Patriarch Fritz ganz in Tränen aufgelöst über den Tod sinniert.

Ab und an wird in den Nachrichten von meuternden Bundeswehrsoldaten und bewaffneten Migranten berichtet. Die zentrale Botschaft: Die Waffe wendet sich gegen die Bevölkerung, die wirtschaftlich von der Produktion profitiert. Was sich im Großen bedrohlich abzeichnet, findet parallel in der Familie statt. Es kommt an einen Punkt, an dem der Familien­streit tödlich eskaliert: Der Patriarch wird von seiner Tochter erschossen.

Dass das Unternehmen daraufhin durch die Kinder aufgelöst wird, erscheint erst wie ein Happy End, das zu moralisch ist, um zur Geschichte zu passen. Und in der Tat gründen die Verbliebenen ein neues Unternehmen, das die kriegerische Veranlagung mittels Genmanipulation aus dem Menschen eliminieren will. „Wir lernen aus der Vergangenheit“, verkünden die Bloch-Kinder überzeugt.

Das plötzliche Niederprasseln von Patronen bringt beim Zuschauer den letzten Rest von Amüsement zu Fall. Was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack. Das liegt mit Sicherheit nicht an der gelungenen Inszenierung.