schwabinger krawall: afghanisches gerangel von MICHAEL SAILER
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So etwas, sagt Frau Hammler, habe sie auch noch nie gesehen: Gestern Abend habe sich der Herr Haschisch aus dem vierten Stock auf einem Stuhl vor das Haus gesetzt, und jetzt, mittags, sitze er immer noch da. Ihr Mann sagt, der Herr heiße nicht Haschisch, sondern Schihad, und sie solle sich nicht in fremde Angelegenheiten mischen. Frau Hammler aber ist insistent, und so geht ihr Mann schließlich hinunter und fragt nach. Der Nachbar erklärt, er heiße nicht Schihad, sondern Ishtan, und hebt eine Zeitung hoch, deren Schlagzeile verkündet: „Allein stehende Afghanen müssen raus!“

Herr Ishtan beteuert, er sei seit 24 Jahren in Deutschland, seine dazumal von den Sowjets beschlagnahmten Mohnfelder seien laut Auskunft dort verbliebener Verwandter unlängst an einen amerikanischen Günstling verkauft worden, und jetzt habe er nicht die geringste Lust, in dieses ihm längst fremde Land gehen zu müssen. Da allein stehende Afghanen abgeschoben würden, habe er sich hiermit öffentlich gesetzt, sei somit nicht betroffen, werde so lange sitzen bleiben wie nötig, und wenn ihm jetzt noch jemand ein Bier bringe, sei er sogar sehr froh.

Herr Hammler meint, er solle vernünftig sein und sich vorstellen, was das für einen Eindruck macht, wenn der Postbote oder ein vorlautes Tratschweib herumerzählt, da sitze seit Tagen ein Afghane vor dem Haus. Überdies werde es in spätestens zwei Stunden regnen, und dann hole er sich womöglich den Tod. Als Herr Ishtan betont, er rühre sich keinen Meter vom Fleck, platzt Herrn Hammler der Kragen; er zerrt an der Stuhllehne, die sofort abbricht. Weil er daraufhin in die Mittagsruhe hinein „Verdammte Scheiße!“ brüllt, alarmiert eine lärmempfindliche Nachbarin, deren Identität hinterher nicht mehr zu klären ist, die Polizei.

Auf einem Stuhl vor dem Haus zu sitzen, stellt POM Stanggradl fest, sei nicht ohne weiteres strafbar. Sein junger Kollege Fesl schlägt vor, man könne das notfalls als Demonstration betrachten und auf dem Revier ein Protokoll aufnehmen. Herr Ishtar schreit, er lasse sich nicht einkerkern. Herr Hammler, dem die Angelegenheit nun peinlich ist, stellt sich schützend vor ihn und sagt, der Mann habe einen festen Wohnsitz, woraufhin POM Stanggradl empfiehlt, die Kirche im Dorf zu lassen.

Keiner hat damit gerechnet, dass in diesem Moment die zwölfköpfige „Schwabinger Initiative kontra Polizeiterror“ aus dem Nachbarhaus tritt, wo sie ihre wöchentliche Vollversammlung beendet und dabei zwei Kisten Dunkelbier verzehrt hat. In dem Gerangel und Gebrüll, das sich nun ergibt, muss Herr Ishtar seinen Sitzstreik schließlich doch aufgeben, um nicht verletzt zu werden.

Dass POM Stanggradl bei dem Versuch, die zwölf Gewaltbereiten festzunehmen, bemerkt, dass es sich bei dem Rädelsführer um seinen eigenen Sohn Theo handelt, führt schließlich zu einer einvernehmlichen Lösung, indem er diesem einen spontanen und ziemlich mordsmäßigen Fußtritt verabreicht, woraufhin der Sohn sich vom Kollegen Fesl mit der Zusage, der Vater werde nach Dienstschluss seiner ganzen Bagage ein Bier ausgeben, überreden lässt, auf eine Anzeige wegen Körperverletzung im Dienst zu verzichten.