Elf Tänzer müsst ihr sein

Elf Choreografen tanzen elf Szenen aus den vergangenen elf Jahren: Mit „11Dock11“ feiert das Tanzzentrum aus Prenzlauer Berg sein Bestehen. Mit der Garbáty-Fabrik in Pankow wird nun auch ein zweiter Standort bespielt

Sie mögen das Klischee nicht. Immer noch würden sie als die „Trümmerfrauen vom Dock 11“ durchgehen, stöhnt Kirsten Seeligmüller. Weil sie ihr Tanzzentrum 1994 in einem Fabrikhof im Prenzlauer Berg errichtet haben. Dabei sollte man doch endlich mal auf die Künstler und Kompanien im Haus gucken. Und mit dem Staunen aufhören. Allerdings spielen Kirsten Seeligmüller und Wibke Janssen selbst mit dem Klischee: Das Programm, mit dem die Initiatorinnen und ihre Partner morgen das elfjährige Bestehen des Docks 11 feiern, erlaubt sich den Blick zurück. „11Dock11 – Reflexion und Spekulation“ nennt sich der Aufführungsmarathon in der Garbáty-Fabrik in Pankow, der das Dock 11 als innovativen Ort für zeitgenössischen Tanz, Performance und crossmediale Formen würdigt. 22 namhafte Choreografen nehmen daran teil, unter ihnen Riki von Falken, Eva Meyer-Keller, Arthur Kuggeleyn, Tomi Paasonen, Felix Ruckert, Yuko Kaseki. Sie alle sind dem Dock 11 verbunden, arbeiten seit Jahren kontinuierlich dort oder treten immer wieder als Gäste auf.

„11Dock11“ bietet mit „Reflexion“ einen Rundgang, bei dem elf Choreografen Szenen aus den vergangenen elf Jahren des Docks 11 tanzen. „Spekulation“ hingegen ist eine Videoinstallation des New Yorker „posttheaters“ und zeigt auf den Kopf gestellte Visionen: Elf Choreografen befragen die Zukunft des Tanzes. Die Sicht des Betrachters auf den tanzenden Körper ist hier auf amüsante Weise verschoben. In der Theaterhalle des Docks 11 ist eine Ausstellung zu sehen mit Fotos der Aufführungen der letzten Jahre. Im Kontrast zur Digitalfarbfotografie der gut ausgeleuchteten Bühnensituationen stehen die Schwarzweißfotos der Gründerzeit: Man sieht entkernte Räume, Bauschutt, aufgerissene Böden, herunter hängende Kabel. Und mittendrin Kirsten Seeligmüller und Wibke Janssen mit Mundschutz. Die beiden aus Hamburg stammenden Tänzerinnen suchten sich den stillgelegten, verbauten alten Fabrikhof in der Kastanienallee, holten bei der Wohnungsbaugesellschaft die Genehmigungen, rissen Wände ein und Verkleidungen heraus, stemmten Böden auf. „Wir hatten nicht das Geld, Baufirmen kommen zu lassen“, meint Wibke Janssen, „wir mussten das selbst machen.“ Obwohl es gut sei, eine Wand einzureißen, „das ist einfach eine andere Energie.“

Von Beginn an lief das Dock 11 als kommerzielle Einrichtung, finanziert aus Privatdarlehen, und in einer Mischform aus Tanzschule, Theater und Studios. „Wir brauchten eigene Probenräume und Raum zum Unterrichten“, so Janssen, „und der wirtschaftliche Druck war auch da. Aber die Leute sind gekommen.“ Einen Rechtsstreit gab es, wegen der Rückübertragungsansprüche der Alteigentümer, die Wohnungsbaugesellschaft hatte Seeligmüller und Janssen den Mietvertrag wieder gekündigt, und beinahe wäre es vorbei gewesen. Doch die beiden wandten sich an eine Anwohnerinitiative, und kämpften um ihre Fabrikräume.

Heute ist das Dock 11 gut ausgelastet: 600 Mitglieder sind in den Tanzkursen eingeschrieben, die Hälfte davon sind Kinder. 25 Dozenten unterrichten Tanz, beim Profi- und Kompanietraining üben täglich 12 bis 13 Tänzer, die Abendkurse liegen mit Modern Dance im Trend, daneben gibt es Ballett, Yoga und Pilates. Mit einem Ausstoß von 24 hauseigenen Produktionen im Jahr und einer durchgängigen Spielzeit ohne Theaterferien gehört das Dock 11 zu den produktivsten Tanzorten Berlins. Im Dock 11 arbeiten nicht nur etablierte Choreografen wie Martin Stiefermann und Felix Ruckert. Beide sind mit ihren Aufführungen vor Ort und den internationalen Gastspielen ohne Zweifel die Zugpferde des Docks 11.

Seeligmüller und Janssen mögen diese Sichtweise gar nicht. „Wir machen keine Unterschiede zwischen bekannt und unbekannt“, sagt Wibke Janssen, „das hat uns noch nie interessiert.“ Was zählt, sei die Professionalität der Künstler. Mit dem „Feld“, einem seit drei Jahren laufenden choreografischen Projekt, gäben sie bekannten und unbekannten Tänzern die Möglichkeit, in den Studios zu arbeiten, sich gegenseitig zu unterstützen und ihre kurzen Stücke dem Publikum zu präsentieren. Auch wenn das unfertig und vorläufig sei. „Das muss nicht immer gleich der große Wurf sein“, so Kirsten Seeligmüller, „und die Ergebnisse sind spannender, wenn der Druck raus ist.“

In der Garbáty-Fabrik lagert das Dock 11 seine Aktivitäten nun zum ersten Mal aus. Für neun Monate werden zusätzliche Probenräume geöffnet, als zweiter Spielort ist Pankow gedacht. „Wir kleben nicht am Dock 11“, sagt Wibke Janssen, „wir müssen das hier nicht noch dreißig Jahre machen.“ JANA SITTNICK

„11Dock11“, Party und Performances, 23. 8., 19–23 Uhr, Einlass alle 20 Min., Garbáty Fabrik, Berliner Straße 123, Kartentel.: 4 48 12 22; Fotoausstellung im Dock 11, bis 2. 9., täglich 15–20 Uhr, Kastanienallee 79