die woche in berlin
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Der neue Glockenturm an der Gedächtniskirche muss saniert werden und ist deswegen auf Monate hinaus mit Werbung eines chinesischen IT-Konzerns verhüllt, bei der MaerzMusik ist mit Frederic Rzewski ein Altmeister der Avantgardemusik zu Gast, und die Waldorfschule darf sich ihre Schüler – es geht um den Fall des Kindes eines AfD-Politikers – nun auch mit dem Segen der Senatsschulverwaltung aussuchen

Gottes Haus und Chinas Handys

Werbebanner verhüllen die Gedächtniskirche

Hoffentlich ist es Beton“, so lautete mal ein ziemlich pfiffiger Werbeclaim der deutschen Zementindustrie, und seitdem hat sich das Image des grauen Kunststeins tatsächlich massiv verbessert – man betrachte nur mal das neue taz-Verlagshaus. Als die neue Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche des Architekten Egon Eiermann 1961 neben der alten Turmruine auf dem Breitscheidplatz eröffnet wurde, galt dieser Spruch offenbar noch nicht: Das Zeug bröselt heute weg wie nichts Gutes.

Jetzt ist wieder mal der Glockenturm dran, also eigentlich schon seit fünf Jahren. Denn 2014 machte die Ikone der Nachkriegsmoderne auf ihren bedauernswerten Zustand aufmerksam, indem sie mit kleinen Brocken nach PassantInnen warf (aber glücklicherweise nicht traf). Seitdem ist der Turm eingerüstet, aber weil das Geld fehlt, passierte bislang nichts.

Und jetzt? Passiert in Sachen Sanierung zwar immer noch nichts, dafür gibt es eine neue Hülle, die bei vielen für Unmut sorgt: ein Rundumwerbeposter des chinesischen IT-Konzerns Huawei. Das Ganze ist im Grunde nur die Wiederholung des Programms von vor 20 Jahren, als das Schminke-Imperium L’Oréal Claudia Schiffer und Andie MacDowell an die zylindrische Fassade heften durfte. Auch das stieß bereits vielen als Akt des Banausentums sauer auf.

Die Gemeinde verteidigt sich, mal wieder: Schätzungsweise vier Millionen Euro koste die Sanierung, von der Wüstenrot-Stiftung bekomme man nur eine und weitere Fördermittel gebe es höchstens, wenn man einen ansehnlichen Eigenanteil vorweisen könne. Werbung aber sei „unsere einzige Chance, an Eigenmittel zu kommen“, so der Pfarrer. Dass Huawei jetzt auch noch in Verruf geraten ist, stört ihn – zu Recht – weniger, immerhin sind die 5G-Vorwürfe in erster Linie auf Donald Trumps protektionistischem Mist gewachsen, und überhaupt locken die Chinesen auf dem Glockenturm nur mit banalen Handys.

Wir nehmen zwei Erkenntnisse aus dem Ganzen mit. Erstens: Der Kirche geht’s tatsächlich nicht sehr gut, wenn noch nicht einmal rund um den Ku’damm ein paar betuchte Gemeindemitglieder bereit sind, etwas tiefer in die Portokasse zu greifen. Oder ganz viele ein bisschen weniger tief. Man fühlt sich an den Drei-Religionen-Treffpunkt House of One erinnert, der als Crowdfundingprojekt startete und nun vom Staat gerettet werden muss.

Zweitens: Mit „Berlin Werbefrei“ wäre das nicht passiert. Die Initiative hat für ihr Ziel, die optische Kommerzialisierung der Stadt per Gesetz drastisch einzuschränken, mehr als genug Unterschriften gesammelt – aber die verschimmeln nun schon seit fast acht Monaten zur „Prüfung“ des Vorhabens in Senatsschubladen.

Ach ja, und doch noch drittens: Hoffentlich ist es nächstes Mal besserer ­Beton. Claudius Prößer

Hymnen dehnen, Mahler ehren

Die MaerzMusik widmet sich festivalweise den Zeitfragen

Am Anfang war der Protest. Ein historischer Protest zwar, aber einer, der immer noch sitzt. Frederic Rzewskis „The People United Will Never Be Defeated!“ von 1975, nach der chilenischen Widerstandshymne „El pueblo unido jamás será vencido, mit dem die MaerzMusik, das Festival für Zeitfragen, vergangenes Wochenende eröffnete, ist einer der seltenen Fälle eines „Hits“ der Nachkriegsmoderne. Ein Variationszyklus, der swingt, mitunter sogar Pop-Appeal hat und noch in seinen sperrigsten Passagen elektrisiert. Wenn alles sitzt.

Bei der Eröffnung spielte der US-amerikanische Komponist und Pianist sein virtuoses Stück höchstselbst. Mit 80 Jahren vermutlich eine der letzten Gelegenheiten in dieser Besetzung und daher allemal ein Ereignis.

Leider zeigte sich der ansonsten höchst geistesgegenwärtige Rzewski am Klavier bei Weitem nicht so bravourös, wie seine eigene Musik verlangt. Er blätterte sich im gemächlichen Tempo durch die Noten, spielte verhalten-­zögerlich, als würde er gerade noch üben. Wie um diesen Eindruck zu bestätigen, griff er auch einigermaßen oft daneben.

Da es dieses Jahr bei dem Festival um Geschichtliches geht, wäre es vermutlich weniger stimmig gewesen, einen jüngeren Interpreten einzuladen, um die Sache flüssiger darzubieten. Viele Inter­preten beanspruchen für das Stück ansonsten eine gute Stunde, Rzewski nahm sich 90 Minuten Zeit. Für die Wiederholung des Werks am Sonntag als Teil des MaerzMusik-Programms im großen Nonstopkonzert „The Long Now“, das von Samstag auf Sonntag einen guten Tag lang das Kraftwerk zum Dauerkonzertsaal mit Liegen zum entspannten Abhängen oder Wegdösen umgestaltet, wirft das Fragen auf. Wird Rzewski sein Spiel bis dahin noch einmal aufgefrischt haben? Oder wird er dem Titel der Abschlussrunde gemäß sein Stück vielmehr zusätzlich entschleunigen, auf zwei, drei Stunden gedehnt?

Neues Tonschaffen konnte man dafür am Donnerstag im Konzerthaus von drei Komponistinnen hören. Orchester und Elektronik im feinen Obertondialog von der US-Amerikanerin Ashley Fure, Droneflächen für Orchester und Orgel von der Litauerin Justė Janulytė und, zum Abschluss, eine im Geist von Mahler als Pastiche angelegte musikalische Erinnerungsarbeit, in der die Österreicherin Olga Neuwirth die Melodien aus der Zeit ihres Großvaters zu einem hauntologischen Strudel verarbeitete. Das war am Ende dann doch gegenwärtiger als Rzewski. Die MaerzMusik kann eben durchaus, wenn sie will.

Tim Caspar Boehme

Die einen kommen ins Töpfchen …

Waldorfschule darf das Kind eines AfDlers ablehnen

Eigentlich die perfekte Vorlage für den nächsten öffentlich ausgetragenen Kulturkampf, der sich bestimmt auch gut klickt: Vergangenes Jahr hat eine Waldorfschule in Treptow-Köpenick das Kind eines AfD-Politikers abgelehnt. Nach einer Diskussion von Eltern und Lehrern könne das Kind nicht mehr unvoreingenommen und unbefangen aufgenommen werden, hieß es.

Am Donnerstag teilte die Senatsschulverwaltung nun mit, dass das Vorgehen der Schule „nicht zu beanstanden“ sei. Eine Prüfung der Schulverwaltung habe ergeben, dass der Ausschluss des sechsjährigen Mädchens rechtmäßig sei. Denn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sei für Privatschulen nur „eingeschränkt anwendbar“, konkret nur bei Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft. Die Gestaltungsfreiheit von Privatschulen gelte nicht nur für den Unterricht, sondern auch die Auswahl der Schüler.

Und nun? Die aufbegehrenden Waldorf-Eltern und ihr Milieu sehen sich in ihrem antifaschistischen Bemühen bestätigt, ebenso die völkische AfD in ihrer ewig und leidig inszenierten Opferrolle und die Liberalen der „gesunden Mitte“ in ihren Ideologievorwürfen ­gegen Rechte und Linke.

Bei dieser mittlerweile berechenbaren und alltäglichen Frontstellung kann man sich für eine Seite entscheiden. Zugegebenermaßen wäre da auch manch vernünftiges Argument auf jeder der Seiten: konsequente Abgrenzung von Rechten bei den einen, der Appell nach Gleichberechtigung unabhängig von politischer Weltanschauung bei den anderen oder eben der Schrei nach Neutralität.

Was man aber auch tun kann: innehalten und sich nicht reflexartig ins Wasser des hochemotionalen Kulturkampfs stürzen.

Das Ideal der Gerechtigkeit ließe sich dann auch beim Wort nehmen. Die streitbaren ideengeschichtlichen Ursprünge und milieuspezifischen Borniertheiten von Waldorfschulen sind das eine. Das andere ist, dass die Schule im Fall des Kindes eines AfDlers nur das getan hat, was sie schon immer tut: aussortieren. Denn Privatschulen sind per definitionem sozial und kulturell exklusiv. Würde eine Privatschule die Bewerber nicht ein- und aussortieren, könnten alle auf diese Privatschule gehen. Dann wäre sie keine Privatschule mehr. Die Waldorfschule in Treptow-Köpenick hat also nur konsequent gehandelt. Dieses Mal traf es eben das Kind eines Rechten statt das eines Armen oder Einwanderers.

Heißt: Wer nach der Erklärung der Senatsschulverwaltung aufschreit und gleichberechtigten Zugang möchte, müsste sich gegen diesen Grundsatz der Exklusivität wenden. Und angesichts des Zustands mancher nichtprivater Schule gegen die Privatschulen selbst. Solange sich die ökonomisch und kulturell Privilegierten private Schulen leisten können, werden sie sie sich leisten – anstatt ihre Kinder auf eine der Berliner Brennpunktschulen zu schicken. Sie werden das tun, egal wie alternativ, progressiv, antirassistisch und weltoffen sie sind.

Und solange es diese exklusiven Privatschulen gibt, wird sich wohl auch das Engagement mancher dieser Eltern für ein gerechteres Bildungssystem in Grenzen halten. Zumindest ist nicht zu erwarten, dass dieses Engagement so leidenschaftlich ausfällt wie das Aufbegehren gegen das sechsjährige Kind eines AfD-Politikers, das die eigene Waldorfschule besuchen möchte. Volkan Ağar

Was man auch tun kann: innehalten und sich nicht reflexartig ins Wasser des hoch emotionalen Kulturkampfs stürzen

Volkan Ağar über die Auswahlkriterien der Waldorfschule