„Einheit und nie wieder Bruderkampf!“

1945 scheiterte die Gründung einer sozialistischen Partei durch Hamburger Sozialdemokraten und Kommunisten

Die SPD wollte zunächst die Partei aufbauen, bevor es zur Vereinigung komme

von Bernhard Röhl

Im Fühjahr 1945 kehrten überlebende Widerstandskämpfer in das befreite Hamburg zurück. Die britische Besatzungsmacht hatte es aber nicht eilig, demokratische politische Parteien wieder entstehen zu lassen. Sozialdemokraten und Kommunisten kamen in Privatwohnungen zusammen, um die Gründungen ihrer beiden Parteien vorzubereiten.

Am 20. August 1945 trafen sich fünf Sozialdemokraten – Karl (Jäcki) Meitmann, Ernst Tessloff, Walter Schmedemann, Willi Elsner und Lorenz Borchers – und fünf Kommunisten – Friedrich (Fiete) Dettmann, Johann Westphal, Friedrich (Fiete) Dethlefs, Paul Tastesen und Willi Grünert. Gemeinsam unterzeichneten die zehn einen Aufruf an SPD und KPD. Darin betonten sie, es komme darauf an, „die beiden großen Arbeiterparteien in kürzester Frist beschluss- und aktionsfähig zu machen“. Der Aufruf endete mit dem Appell: „Auf der Grundlage gemeinsamen Handelns (...) soll die eine sozialistische Partei entstehen. (...) Einigkeit, Einheit und nie wieder Bruderkampf!“

Bereits am 23. Juli 1945 war es auf dem Ohlsdorfer Friedhof zu einer bewegenden Beerdigung in Anwesenheit von tausenden Sozialdemokraten und Kommunisten gekommen. Am offenen Grab der früheren Lehrerin Magda Thürey, die im Juli 1945 an den Folgen ihrer Haft im KZ Fuhlsbüttel gestorben war, reichten sich Karl Meitmann und Fiete Dettmann die Hand. Sie versprachen, sie wollten „den Bruderkampf niemals wieder aufleben lassen!“

Der frühere SPD-Reichstagsabgeordnete Kurt Schumacher agitierte derweil gegen Aktionseinheit und Einheitspartei, er vertrat prinzipiell eine scharfe antikommunistische Linie. Als Beauftragter der SPD in Hannover sollte er eine überregionale SPD aufbauen.

Am 28. August 1945 übermittelte Schumacher „Politische Richtlinien“ an alle SPD-Bezirke. Wenn die Massen nach den Erfahrungen vom Januar 1933 nach der Einheit verlangten, müsse das auch das politische Ziel der SPD sein. „Zur Zeit“, so Schumacher, sei das aber nicht zu realisieren, weil die KPD an eine Siegermacht gebunden sei, während die SPD nur die Interessen der deutschen Arbeiter vertrete; nur die SPD strebe eine sozialistische Wirtschaftsordnung an; die KPD erkenne eine Schuld des ganzen deutschen Volkes an, um sowjetische Reparationsansprüche zu rechtfertigen, während die SPD zwar Fehler gemacht, aber keine moralische Schuld auf sich geladen habe; die Haltung der KPD zur Demokratie schließlich sei zweifelhaft, während Demokratie für die SPD untrennbar mit dem Sozialismus verbunden sei.

Der SPD-Vorstand tagte vor 60 Jahren in der Großen Theaterstraße 42/44 – in diesem Gebäude hatte am 15./16. Juni 1933 die letzte genehmigte Sitzung des SPD-Parteivorstandes und -ausschusses stattgefunden. Vielleicht trug die Erinnerung an die Verhaftung der damaligen Teilnehmer dazu bei, dass wenigstens ein Teil der Sozialdemokraten noch darauf hoffte, mit der KPD zu einer Verständigung über die Sozialistische Partei zu gelangen. Im September 1945 forderten sie die KPD-Mitglieder im Aktionsausschuss auf, ihre Vorstellungen für die Einheitspartei zu präzisieren.

Am 19. September 1945 diktierte Fiete Dettmann im Büro des vorbereitenden Ausschusses der KPD, Bezirk Wasserkante, ein Schreiben mit 5 Punkten an die „Werten Genossen“. Darin hieß es unter anderem, dass die KPD-Mitglieder für eine „sozialistische Demokratie“ seien, „als Ziel der Befreiung von der Besatzung und der Aufsicht durch die alliierte Militärregierung“. Der Kampf aller Arbeiter müsse sich darauf richten, die „verloren gegangenen demokratischen Forderungen“ der Revolution von 1848 durchzusetzen.

Am 1. Oktober 1945 antwortete Karl Meitmann, dass die SPD zunächst die Partei aufbauen wolle, bevor es zur Vereinigung komme, um die Selbständigkeit zum Nutzen der Einheit auszuwerten. Im Übrigen erklärte der SPD-Vorsitzende erneut seinen Willen zur Zusammenarbeit mit jeder demokratischen Partei, die „die Demokratie und den Sozialismus verwirklichen wollen“.

Am 7. September 1945 beantragte die KPD bei der Besatzungsmacht ihre Zulassung. Es dauerte noch bis zum 21. November, bis SPD, KPD, CDU und FDP vom Befehlshaber der Militärregierung von der Genehmigung ihrer Organisation unterrichtet wurden.

Am 13. Oktober 1945 fand die letzte Zusammenkunft des Aktionsausschusses statt. Fanach sandte die KPD noch vier Briefe an die SPD-Leitung, die nur noch ein Schreiben schickte. An der Parteikonferenz der KPD nahmen am 1. und 2. Dezember als Gäste auch Vertreter von SPD und Militärregierung teil. KPD-Bezirksvorsitzender Fiete Dettmann erläuterte den Kurs der antifaschistisch-demokratischen Ordnung und sprach sich für die „Aktionseinheit“ mit allen antifaschistischen Parteien aus.

Der heutige SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Holger Christier kommentiert in seinem Buch „Sozialdemokratie und Kommunismus – Die Politik der SPD und KPD in Hamburg 1945–49“ das Scheitern der Einheitsbestrebungen unter anderem so: „Durch ihre Weigerung, den Zusammenschluss sofort zu vollziehen, verursachte die KPD genau die Verzögerung, die die vereinigungsfeindlichen Kräfte in Hannover ... benötigten, um ihre eigene Basis in Deutschland zu konsolidieren und ihre Fühler auch nach Hamburg auszustrecken.“ Eine erfolgreiche Einheitspartei hätte möglicherweise eine so starke Wirkung auf andere Bezirke ausgeübt, dass „Widerstand gegen Schumacher möglich gewesen wäre“.

60 Jahre später tritt eine neue Linkspartei an – als Folge des unsozialen Agierens der Schröder-Regierung, die in ihrem eigenen Armutsbericht zugeben musste, dass elf Millionen Menschen im Land unter der Armut leiden.