Vom Meer bedroht

KLIMAWANDEL Der Meeresspiegel steigt schneller und höher, als Wissenschaftler bislang annahmen

BERLIN taz | „Noch vor einigen Jahren sind wir davon ausgegangen, dass der Anstieg der Meere eine Frage von einem bis zwei Jahrhunderten sein würde“, sagte kürzlich der Exekutivdirekter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep), Achim Steiner, als er den neuen, alarmierenden UN-Bericht über die Folge des Klimawandels vorstellte. „Jetzt können wir nicht ausschließen, dass der Meeresspiegel im Laufe des Lebens eines heute geborenen Kindes um zwei Meter ansteigt.“ Zwei Meter – das ist doppelt so hoch, wie ein Großteil der Malediven über dem Meeresspiegel liegt.

350.000 Menschen leben in dem rund 1.190 Inseln zählenden Staat im Indischen Ozean. Die Malediven gehören zu der Allianz der kleinen Inselstaaten (Aosis). Dieses Bündnis aus 42 kleinen Insel- und niedrig liegenden Küstenstaaten fordert auf Klimakonferenzen immer wieder ehrgeizige Ziele und eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad. Denn ihr Lebensraum ist durch die klimatischen Veränderungen extrem bedroht.

Noch vor zwei Jahren ging der Weltklimarat IPCC in seinem letzten Bericht von einem Anstieg des Meeresspiegels zwischen 18 und 59 Zentimetern bis 2100 aus. Damals waren sich die Wissenschaftler allerdings noch nicht über das tatsächliche Ausmaß der Gletscherschmelze einig. Neuen Erkenntnissen zufolge übertragen sich die Erwärmung des Meereswassers und das schmelzende Meereis viel unmittelbarer als bislang angenommen auf die Landeismassen. Diese würden dadurch schneller dünner und instabiler.

Wichtige Erkenntnisse für ihre Prognosen ziehen Klimawissenschaftler aus der Arktis. „Sie ist uns 30 Jahre voraus“, erklärte IPCC-Klimaforscher Robert Correll. „Entwicklungen gehen dort rascher vonstatten.“ Dem Wissenschaftler zufolge schmelzen die Gletscher inzwischen drei- bis viermal so schnell wie 1980.

Im Dezember soll auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen ein Nachfolgeabkommen des Kioto-Protokolls verabschiedet werden. Während der zweiwöchigen Verhandlungen soll den Teilnehmern anhand eines virtuellen Atlas demonstriert werden, welche Folgen der drastische Anstieg des Meeresspiegels sowie die Auswirkungen des Klimawandels weltweit haben werden. NADINE MICHEL