Ex-Ministerin und Politik-Neuling

LitauerInnen entscheiden in Stichwahl über das Präsidentenamt

Die LitauerInnen werden am 26. Mai gleich doppelt wählen dürfen: Neben der Wahl zum EU-Parlament werden sie auch entscheiden, ob an der Spitze des Landes und damit auf den Gruppenbildern von den EU-Gipfeln in den kommenden fünf Jahren eine Präsidentin oder ein Präsident steht. In der ersten Wahlrunde am 12. Mai erreichte nämlich keiner der BewerberInnen die erforderliche absolute Mehrheit, sodass sich die beiden Bestplatzierten nun einer Stichwahl stellen müssen.

Es wird spannend werden, und das, obwohl laut Verfassung die Zuständigkeit des Staatschefs vor allem in der Außen- und Verteidigungspolitik liegt. Im ersten Wahlgang trennten weniger als drei Zehntelprozent die ehemalige Finanzministerin Ingrida Šimonytė mit 31,21 Prozent von dem Ökonomen Gitanas Nausėda, der auf 30,93 Prozent der Stimmen kam. Erste Analysen halten es jedoch für eher wenig wahrscheinlich, dass die Nachfolge von Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite, die Litauen in den vergangenen zehn Jahren repräsentierte und eine der schärfsten Kreml-KritikerInnen in der EU war, erneut eine Frau antreten kann.

Šimonytė trat als Kandidatin der konservativen „Vaterlandsunion“ an, ihr Konkurrent Nausėda dagegen als parteipolitisch unabhängiger Kandidat. Damit ist seine Ausgangssituation deutlich besser: Ihm wird eher zugetraut, WählerInnen, die in der ersten Runde zu knapp 40 Prozent für einen der sieben anderen Kandidaten gestimmt hatten, zu sich herüberziehen zu können.

Nausėda, der zwei Jahre in Deutschland lebte und Litauen gern zu einem Wohlfahrtsstaat nach skandinavischem Modell machen möchte, habe ein deutlich sozialeres Profil, meint Ramūnas Vilpišauskas, Politikwissenschaftler an der Universität Vilnius. Gerade soziale Themen – in keinem anderen EU-Land ist die Kluft zwischen Arm und Reich so tief wie in Litauen – hätten im Präsidentschaftswahlkampf eine große Rolle gespielt.

Auch dass Šimonytė als „Erbin“ der umstrittenen bisherigen Amtsinhaberin Grybauskaitė gilt, die mit einiger Regelmäßigkeit ihre vom Amt geforderte politische Neutralität „vergaß“ und sich in der Innenpolitik parteipolitisch einseitig positionierte, könnte sich eher nachteilig für Šimonytė auswirken. Reinhard Wolff