Goldene Gitterstäbe

TRAUMSPIEL Achtzig Jahre lang wurde die Oper „Die Heilige Ente“ nicht mehr gespielt. Die Sophiensæle erinnern an das Stück

In den zwanziger Jahren stand „Die Heilige Ente“ an zwanzig Bühnen auf dem Spielplan

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

„Hinter goldenen Gitterstäben“, so beginnt jede neue Strophe im Lied von Li, der Frau des Mandarin, und sie singt von einem gefangenen Frosch, einem Vogel und zuletzt von sich selbst. Ihren Kopf bewegt die Sopranistin Osnat Kaydar dabei, als wäre sie ein mechanischer Vogel, eine „chinesische Nachtigall“ wie aus einem Märchen von Hans Christian Andersen. Den Garten, in dem sie gefangen ist, markiert dabei auf der Bühne der Sophiensæle der glänzende Stoff ihres Umhangs, kreisförmig ausgebreitet.

Achtzig Jahre lang wurde die Oper „Die Heilige Ente“, komponiert von Hans Gál, nicht mehr gespielt – jetzt stellen die Sophiensæle sie vor in einer musikalisch sparsamen Fassung, allein von einem Pianisten (Antonis Anissegos) werden die sieben Sänger begleitet. In den zwanziger Jahren stand „Die Heilige Ente“, die 1923 in Düsseldorf uraufgeführt worden war, an etwa zwanzig Bühnen auf dem Spielplan und wurde als erste moderne Oper von Radio Wien produziert. Der Komponist Hans Gál war ungarisch-jüdischer Abstammung, ab 1933 wurden seine Werke in Deutschland verboten und er verlor seine Stellung als Direktor des Mainzer Konservatoriums. Er emigrierte zunächst nach Österreich, später nach Edingburgh, wo er Musiktheorie lehrte. Er war Mitbegründer des Edingburgh-Festivals und lebte dort bis zu seinem Tod 1987. „Die Heilige Ente“ aber kehrte nicht mehr auf die Spielpläne zurück.

Im Foyer der Sophiensæle erzählt eine Text-Dia-Show von Hans Gál. Die Inszenierung selbst, Regie Solvejg Franke, unternimmt keine Verweise auf den historischen Kontext, obwohl dieser die Regisseurin, die in Berlin und in Israel Musiktheaterregie studiert hat, motiviert hat, das verdrängte Werk wieder ins Bühnenlicht zu heben. Orientalismen waren en vogue in den zwanziger Jahren, Fotos von früheren Aufführungen der „Heiligen Ente“ lassen die damals opulente Ausstattung des Märchens erahnen. Es geht um einen armen Kuli, der Enten züchtet und dem Hof des reichen Mandarins verkauft. Eines Tages entwischt ihm seine Ente, bei der Suche gerät er in den verbotenen Garten, in dem Li über ihre Einsamkeit weint. Sie verlieben sich, Todesstrafe droht; aber mit seinem letzten Wunsch nach einer Opiumpfeife beginnt ein Traumspiel, ein Rollentausch wie im Sommernachtstraum.

Die Inszenierung von Solvejg Franke ist da stark, wo aus der Reduktion der Mittel ein eigener Witz entsteht. Beim Festmahl des Mandarin legen die Gäste den Kuli selbst an Stelle der fehlenden Ente auf den Tisch und drohen ihm mit Plastikgabeln. Die übrigen Essens-Requisiten sind an der Tischdecke festgenäht und nötigen die Hungrigen, die vom Glanz des Mandarin profitieren wollen, in unwürdige Positionen, die Nase am Tisch plattgedrückt. In dieser Situationskomik nimmt Franke den Witz von Gál auf, der seinen Kuli (Markus Ahme, Tenor) singen lässt, „wohl dir, du wohlgenährte Ente“. Doch wenn auch das Pathos der Oper durch ihren Gegenstand oft komisch gebrochen ist, war es Gál mit der expressiven Emotionalität und den Konflikten seiner Figuren doch sehr ernst. Das Erschrecken Lis, als sie merkt, dass ihr Geliebter nur ein Kuli ist; die Verunsicherung des Mandarin (Thorbjörn Björnsson, Bariton), der nach der Opiumnacht, in der sein Geist in den Körper des Kuli wanderte, über die von Li erfahrene Liebe – galt sie nun ihm oder nicht –, auf solche existentiellen Erschütterungen und sozialen Verunsicherungen kam es dem Komponisten und seinen Librettisten Karl Michael Levetzow und Leo Feld an. „Die Heilige Ente“ war keine Opernparodie, auch keine moderne Musik à la Neutöner oder Jazz, sondern Brahms und die Wiener Schule gelten als die Tradition, in der Gál sich sah.

Allein davon ein akustisches Bild zu vermitteln, kann ein Pianist allein wohl kaum; sich Bläser und Streicher hinzuzudenken gelingt wohl nur musikalisch sehr gebildeten Zuschauern. Auch für die Sänger bedeutet das, alles mit ihren Stimmen und ihrem Spiel erzählen zu müssen – und das wird auch als Anstrengung sichtbar. In manche lyrische Partien hört man sich leicht ein, andere, lange Singstrecken sind jedoch auch für den Hörer Arbeit, denn auch ihn trägt hier kein Orchester mit sich fort. Aber darauf kommt es der Inszenierung letzten Endes auch nicht an.

■ „Die Heilige Ente“, wieder in den Sophiensælen am 11. und 12. September, 20 Uhr