AUF DER LAUER
: O sole mio

Dann machen sie Bewegungen zur Musik

Wenn es warm ist, ist Otto wieder häufiger zu sehen. Er stützt sich dann mit den Ellbogen auf das kissengepolsterte Fensterbrett und guckt von seiner Hochparterre-Wohnung aus dem Gewusel auf der Straße zu. Wenn ihn jemand anspricht, wie eine etwas ältere Dame, die auf der Suche nach einer Apotheke ist, dann ist Otto sehr hilfsbereit. Die Dame ist wahrscheinlich Touristin, denn eine Apotheke befindet sich direkt schräg gegenüber. „Da müssense da lang gehn. Dieffenbach, wa, und dann könnense jerade aus gehen, wa, am besten gehnse abba rechts, da is ooch eene, die Möhrenapotheke, gleich da drübn, oder links jeht ooch, wa. Das dauert dann abba länger, wa.“ Die Dame ist verwirrt. „Ich sag doch, vor bis zur Dieffenbach, da die Kreuzung. Sehnse die denn nicht? Mannmannmann!“ Die Kreuzung liegt ungefähr 20 Meter entfernt.

Ich gönne mir diesen Zeitvertreib jetzt auch. Das ist besser als ARD. Es regnet. Ein Taxi hält an. Der Fahrer steigt aus, geht zwischen die parkenden Autos und schlägt sein Wasser ab. Zwei Fahrgäste wollen einsteigen, sehen aber, dass das Taxi keinen Taxifahrer hat. Als sie ihn entdecken, kommt einem der Fahrgäste die Idee, auch mal kurz Wasser abzuschlagen. Na toll!

Es klart auf. Die Sonne scheint. Im Park gegenüber versammeln sich sechs Frauen um die 40 bis 50. Sie tragen bunte, wallende Garderobe. Jede hat einen Regenschirm. Sie schalten ein transportables Musikgerät an. Dann machen sie wallende Bewegungen zur Musik. Ein Regentanz? Ich bin fasziniert. Das ist auch ein sehr zerzauster Mann mit wirren Haaren. Er bleibt stehen, sieht den Frauen zu und miaut „O sole mio“, und zwar sehr laut und sehr falsch. Eine Krankenschwester taucht auf und sagt: „Na, dann komm ma wieder mit. Is jut jetzt! Und nicht wieder ausbüxen, ja?“ Ich frage mich, warum sie die sechs Regentänzerinnen nicht auch gleich mitnimmt.

KLAUS BITTERMANN