... muss Kanzler bleiben

DAS SCHLAGLOCH von MICHAEL RUTSCHKY

Dringend komme es darauf an, die ulkige Linkspartei wieder in ihre Bestandteile aufzulösen

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering gibt die Bundestagswahl für die SPD noch nicht verloren. „Die Stärke von Gerhard Schröder wird auch die Partei mitziehen“ sagte Müntefering der Süddeutschen Zeitung. Im jüngsten Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen legt die SPD um einen Prozentpunkt zu, bleibt aber 13 Prozentpunkte hinter der Union.

SZ, 13./14./15. August 2005

Unser Freund Theckel nähert sich im Altern immer stärker dem Nihilismus des sehr jungen Menschen an. Wie dieser möchte er jetzt komplettes Desinteresse an der Frage vorgeben, wer im Kanzleramt residiert, ja Verachtung vorspiegeln. „Mit deinem Gerd isses ja nun bald vorbei“, versucht er überlegen zu spotten, „keine Kulturtreffs mehr in der Sky Lobby; denn ‚Old Puddinghead‘ Merkel wird auf solche Shows verzichten. Zu ihr käme ohnedies kein Kulturschaffender, der auf sich hält.“

Unsere Freundin Jutta dagegen hat den Kampfgeist wiederentdeckt. Wollte auch sie sich zwischenzeitlich dem Nihilismus verschreiben und jedes Interesse an der Politik aufgeben, „schließlich ist man im Rentenalter“, so versammelt sie unterdessen alle ihre Motive unter der ehrwürdigen Parole, Gerhard Schröder muss Kanzler bleiben (eine Variation auf Willy Brandts Siegesformel von 1972).

Es wäre einfach Unfug, das Mädchen zur Chefin zu machen, bloß weil sie übrig geblieben ist, nachdem alle Jungs sich aus dem Feld gebissen hatten, Merz und Schäuble und wie sie hießen. So etwas ging schon damals bei der Schulsprecherwahl schief, das übrig gebliebene Mädchen erwies sich als viel zu anpassungswillig; als Erstes auf der Strecke blieb der regelmäßige Tanztee an jedem zweiten Samstag (damals waren die Höchstforderungen noch äußerst bescheiden). Auf Gerhard Schröder als Bundeskanzler zu verzichten wäre sinnlose Verschwendung. Der Mann ist gut eingearbeitet und weiß, wie man den Job macht. Man kann ihn überall hinschicken, zum Papst ebenso wie zum D-Day in die Normandie, ohne dass es peinlich wird. Er ist, wie vor 30 Jahren die Leitartikler formuliert hätten, „aus dem richtigen Kanzlerholz geschnitzt“. Das ist eine äußerst knappe Ressource, gerade auf der Linken. Wenn Schröder geht, droht unsere alte Freundin Jutta lustig, wird es in meiner Restlebenszeit keinen sozialdemokratischen Kanzler mehr geben. Und ihr müsst entsprechend lange warten.

Gerade auf der Linken – : das ist doch das Problem, höhnt unser alter Freund Theckel. Die Linke will gar keinen Kanzler stellen, und bekanntlich hat sie Gerhard Schröder nie gemocht. In unseren Kreisen, höhnt und spottet er, gehörte es doch zum guten Ton, Hohn und Spott über Schröder auszugießen. Die Cohiba-Zigarren, die Brioni-Anzüge, die Freude an der Macht. Das gehört sich alles nicht für einen richtigen Linken; allenfalls darf er, unter fleißiger Absonderung gewisser Brecht-Zitate, sich als genauer Kenner französischer Käsesorten präsentieren. Ist euer Freund Lafontaine nicht als Feinschmecker bekannt?

Aber das wäre doch was!, versucht unsere Freundin Jutta gegenzuhalten. Unter Gerhard Schröder lernte die Linke, lernte die Sozialdemokratie den Willen zur Macht. So ist es bei der letzten Bundestagswahl gewesen: Plötzlich zeigte sich, dass das konservative Lager keineswegs über die strukturelle Mehrheit verfügt, auf die es so stolz ist. Die Linke ist nicht bloß dazu da, hin und wieder beim Regieren einzuspringen, weil die Rechte sich erschöpft bei ihrer immerwährenden Herrschaft. Rechts und links haben sich unter Gerhard Schröder zu funktionalen Äquivalenten ausgestaltet.

Alles Quatsch, mault unser alter Freund Theckel. Der Demoskopie zufolge sehnt sich die Bevölkerung seit langem entschlossen zurück nach der immerwährenden Herrschaft von CDU/CSU. Dass sie 2002 noch einmal Schröder-Fischer gewählt haben, sah schon 14 Tage später wie ein Missgriff aus. Man weiß kaum zu sagen, warum die Bevölkerung so massiv dieser Sehnsucht folgt; Rot-Grün hat doch beim Regieren auf alle Radikalitäten verzichtet. Weder die Gesundheits- noch die Hartz-Reform bewirkte irgendwo ernstlich Umsturz. Und der milde isolationistische Kurs in der Außenpolitik weckte sogar Zustimmung. Bloß keine Übereinstimmung mit dem bösen Bush.

Es mag sein, spottet unser alter Freund Theckel, dass die Bevölkerung, gleich nachdem sie die Bundeskanzlerin Merkel installiert hat, mit ihr genauso verfährt. Was immer sie anstellt, erweist sich sogleich als Unfug. Nichts klappt, und der Oberstoiber wird es schon immer gewusst haben. Es waren weder der Kündigungsschutz noch die Lohnnebenkosten, und die Mehrwertsteuererhöhung hat den Trieb zum Angstsparen noch verstärkt. In der Außenpolitik verursachte die Merkel-Regierung sogleich eine schwere Krise mit den USA, insofern sie die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei hintertrieb. An ihnen ist den USA doch so gelegen, und im Hintergrund meckert der Oberstoiber, Merkel habe das von Schröder so gründlich verdorbene Verhältnis zu den USA doch gerade auf seine alte, gute Einigkeit zurückführen wollen …

Vielleicht, träumt unsere alte Freundin Jutta, überlegt sich’s der Wähler ja noch mal. Vielleicht ist das eine neuere Form der Kontrolle über die politische Macht: dass die Demoskopen ihr die ganze Legislaturperiode lang vorhalten müssen, wie gründlich der Wähler der Regierung misstraut – damit er am Ende die Regierung im Amt bestätigen kann. Niemand soll sich sicher fühlen vor dem anhaltenden Unwillen des Wählers. Das sagen sie den Demoskopen doch jederzeit ausdrücklich: dass sie am allerwenigsten den Politikern die Lösung der wahrhaft brennenden Probleme zutrauen.

Dringend komme es natürlich darauf an, die ulkige Linkspartei wieder in ihre Bestandteile aufzulösen. Das ist doch richtig widerlich, zwei alte Männer, die kurz vor Sonnenuntergang noch mal die Rampensau geben wollen. „Und schon wenn der Gysi einem Bundestagsausschuss vorsitzen soll, zieht er ein Attest aus der Tasche, der Arzt habe ihm jede solche Tätigkeit aus Gesundheitsgründen untersagt.“ Der Wähler werde rechtzeitig merken, dass er seine Stimme verschwendet an eine Partei, die ohnedies nicht regieren, sondern bloß Recht haben will, „die Partei der Leserbriefschreiber“. An der Regierung beteiligt, müssten sie feststellen, dass die Reformen unter Rot-Grün milde und schonend verfuhren. Aber ihre ganze Demagogie verdankt sich ja der Wunschvorstellung, „Geld ist genug da“, man muss es nur richtig verteilen – früher hätte ich gesagt, tobt Theckel vergnügt, Weiber sind genug da, nur an der Verteilung hapert’s. Geld ist nie genug da.

Es wäre einfach Unfug, das Mädchen zur Chefin zu machen, bloß weil sie übrig geblieben ist

Eine Partei der gut etablierten Mittelschichten, des öffentlichen Dienstes, schimpft Jutta. Alles Pharisäer, die ihre Privilegien genießen, aber nicht für die Maßnahmen verantwortlich sein wollen, die ihnen die Privilegien sichern. Linkssein heißt frei von Schuldgefühlen sein, denn für die ausbleibende Herstellung von Gerechtigkeit sind immer die anderen verantwortlich. Die Linkspartei wählen bedeutet eine Art Ablasshandel. Jede Bundestagsrede von Lafontaine löst bei ihnen innerlich Beifallsstürme aus; das musste doch mal wieder gesagt werden! Von nun an werden die Herrschenden sich das anhören müssen! Orgien der Selbstzufriedenheit.

Fotohinweis

Michael Rutschky lebt als Autor in Berlin.