Wiebke Kethorn, Handballspielerin
: Ehrgeizig und fair

Die gebürtige Nordhornerin spielt beim VfL Oldenburg, ist Nationalspielerin und seit diesem Freitag Trägerin des Fair-Play-Preises Foto: VfL Oldenburg

Ein Unentschieden ist im Handball ein besonderes Ergebnis. Es ist deswegen so besonders, weil eine Menge Tore fallen und sich am Ende selten alles ausgleicht. Es ist wie ein Kubus, der auf der Kante stehen geblieben ist: Eine Kleinigkeit genügt, um das Spiel zu entscheiden.

Hätte Wiebke Kethorn an jenem Mittwochabend im März den Ball ins leere Tor geworfen, dann hätte ihre Mannschaft, der VfL Oldenburg, die Partie gegen den HC Leipzig vielleicht gewonnen. Der VfL hätte am Ende der Saison vielleicht einen Punkt mehr gehabt und damit zum ersten Mal die Bundesliga-Playoffs erreicht. Aber Kethorn entschied sich gegen das Tor. Sie brach den Angriff ab und legte den Ball zu Boden. Das Spiel endete 24 : 24, und zum Saisonende reichte es nicht für die Runde der besten vier.

Warum warf Kethorn nicht? Aus Fairness: Die gegnerische Torfrau war zuvor vom Ball im Gesicht getroffen worden und am Boden liegen geblieben. „Es wäre kein faires Tor gewesen“, sagt Kethorn. Die Mitspielerinnen meckerten, aber die Deutsche Sporthilfe wusste die Geste zu schätzen: Sie hat der 24-Jährigen aus Nordhorn gestern in Hamburg den „Preis für Toleranz und Fair Play“ verliehen.

Sie sei sich damals sofort sicher gewesen, die richtige Entscheidung zu treffen, sagt Kethorn. Bereut habe sie das nie. „Ich glaube fest daran, dass man auch mit fairen Mitteln seinen Weg gehen kann.“

In diesem März wurde Kethorn in die Nationalmannschaft berufen, nun hofft sie auf einen Platz im Kader, wenn es im Dezember dieses Jahres zur Weltmeisterschaft nach China geht. „Ich bin sehr ehrgeizig“, sagt sie. Ein Ehrgeiz, der nie zwanghaft wurde. Wenn sie über ihren Sport spricht, gerät Kethorn schnell ins Schwärmen. Sie plappert und lacht und klingt rasch ein bisschen atemlos. In ihrer Jugend spielte sie auch in der niedersächsischen Fußballauswahl, hat sich aber dann für Handball entschieden: Weil mehr Tore fallen, mehr passiert. „Ich kann nie stillsitzen“, sagt Kethorn.

Sie mag den Kampf, will gewinnen, aber sie will am Ende auch wissen, dass sie wirklich die Bessere war. „Ein Sieg macht nur Spaß, wenn man fair gespielt hat.“ Und das ist keine bloße Floskel, sondern eine Überzeugung Kethorns jenseits von Erfolgsdruck und Geld.

Sie weiß aber auch, dass andere da anders denken. Als sie nach jener Partie im März vom Spielfeld lief, war sie auf Vorwürfe gefasst. „Mensch, macht mich jetzt nicht fertig wegen der Szene“, raunte sie den wartenden Journalisten zu, noch ehe diese den Mund aufmachten.

Es ist letztlich anders gekommen. Viele Mitspielerinnen, die sie zum Wurf gedrängt hatten, entschuldigten sich im Nachhinein. Auch Trainer Leszek Krowicki stellte sich hinter sie: „So eine faire Geste. Ich wette, 99 Prozent aller Handballer hätten geworfen“, sagt er. Die verpassten Playoffs hat Kethorn niemand zum Vorwurf gemacht. Im Fußball wäre das vielleicht anders gewesen. CARINA BRAUN