GEMÄLDEGALERIE
: Warum hängt der?

Aber Papa, das Brandenburger Tor steht doch woanders!

Ich betrete mit meinem Sohn die Gemäldegalerie. Es ist ein Versuch. Mein Freund F. verschleppt seinen Sohn, der zwei Jahre jünger ist als meiner, regelmäßig in Museen oder Ausstellungen und geht mit ihm nach einer halben Stunde wieder nach Hause. Ich rechne maximal mit einer Stunde. Ich hatte ihm monumentale Schlachtszenen versprochen, ineinander krachende Lanzen, ozeandampferähnliche Segelschiffe, die sich gegenseitig unter Kanonenbeschuss nehmen.

Wir gehen in den ersten Raum, die Maria Magdalenas in Blau, dieser ganze verflixte Raum leuchtet blau. Der Sohn löst sich, stellt sich links des Raums, als würde er einer Führung folgen, und sichtet nun Bild für Bild. Der nächste Raum wird ebenso begutachtet. Dazwischen werden Fragen abgefeuert. Warum hat der Pfeile in der Brust? Warum hängt der? Warum gucken die so böse? Unglaublich, wie ausdauernd der Sohn mit einem geradezu ehrfürchtigen Blick die vielfältigen Kreuzigungsszenen abfeiert. Wir bleiben drei Stunden und ich locke ihn dann, ich kann das nicht mehr sehen, mit dem Versprechen auf zwei Kugeln Eis aus dem Gebäude.

Eine Woche später bittet er um den Besuch eines weiteren Museums. Ich denke an die von Yadegar Asisi geschaffene Panorama-Darstellung von Pergamon und fahre mit dem Sohn dorthin. Als wir später vor dem Pergamon-Altar stehen, kommt eine Digitalkamera auf uns zu, zeigt auf den Altar und sagt: „Sorry, Brandenburger Tor?“ Ich denke an meinen Bekannten in Brüssel, der immer Touris anlügt, und sage „Yes!“, woraufhin mein Sohn interveniert: „Aber Papa, das Brandenburger Tor steht doch draußen, ungefähr da!“, und deutet mit der Hand nach hinten und ich bin fast hundertprozentig sicher, dass es die richtige Himmelsrichtung ist. Ich stupse die Digitalkamera an, deute auf den Sohn und sage: „Sorry, I was confused, he knows the correct direction!“ BJÖRN KUHLIGK