Musterland mit Problemen

Österreich steht im Vergleich zu Deutschland gut da: rund 2 Prozent Wachstum, nur 6 Prozent Arbeitslosigkeit. Dennoch ist die Regierung beunruhigt. Mit Konjunkturprogrammen und Kombilöhnen versucht sie die steigende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen

AUS WIEN RALF LEONHARD

Österreich gilt in Deutschland inzwischen als Vorbild. Es wird präsentiert als Boomland, in das vor allem arbeitslose Ostdeutsche strömen. Nach jüngsten Zahlen sollen inzwischen 46.000 Deutsche in der Alpenrepublik einen Job gefunden haben. Sie dienen vor allem als Hilfskräfte in den Tourismusgebieten.

Im Allgemeinen sehen es die Österreicher mit einer gewissen Genugtuung, dass die stolzen Deutschen immer häufiger hinter der Bar als davor anzutreffen sind. Die polemische Bemerkung des Tiroler Arbeiterkammerpräsidenten und ÖVP-Politikers Fritz Dinkhauser, wonach der „Feind des Tiroler Arbeitsmarktes nicht mehr aus dem Osten“ komme, blieb bisher isoliert.

Das Wirtschaftswachstum belief sich zuletzt auf rund 2 Prozent – und fiel damit doppelt so hoch aus wie das deutsche. Ökonomen und Wirtschaftstreibende stimmen weitgehend überein, dass der Boom vor allem der Ostöffnung und der Osterweiterung zu verdanken sei. Dazu hat die gegenwärtige Bundesregierung wenig beigetragen: Zusammen mit der europafeindlichen und xenophoben FPÖ hat die ÖVP eher Abschottungspolitik betrieben. Der schleppende Ausbau der Schienen- und Straßenverbindungen zu den Nachbarn ist, wie jüngst veröffentlichte Manager-Befragungen zeigen, ein stetes Ärgernis für die Unternehmen.

Allerdings ist der Osten nicht nur Absatzmarkt, sondern auch Konkurrenz: Obwohl der Körperschaftsteuersatz auf das osteuropäische Niveau von 25 Prozent gesenkt wurde, wird der Trend zur Verlagerung ins billigere Ausland anhalten. Der Großteil der Textilindustrie und Schlüsselbetriebe wie die Continental-Reifenproduktion Semperit wurden schon in den europäischen Osten umgesiedelt.

Protektionismus sei jedoch keine Lösung, warnte eine Untersuchung, die das Münchner Beratungsunternehmen Roland Berger leitete. Stattdessen wurden eine bessere Bildungspolitik und mehr Sprachunterricht empfohlen: In Österreich fehle es am weltoffenen Klima, an Verständnis für andere Kulturen und an Kreativität.

Die Arbeitslosigkeit erreichte nach österreichischer Statistik zuletzt 6 Prozent, was 210.000 Erwerbslosen entspricht – ein neuer Rekord. Dabei ist diese Statistik noch geschönt: Zehntausende werden in oft wertlose Schulungen geschickt oder verdienen als Scheinselbständige nur knapp über dem Existenzminimum.

Schon seit mehreren Monaten denkt die Regierung darüber nach, nach deutschem Vorbild ein Kombilohn-Modell zu testen: Der Lohn von Langzeitarbeitslosen soll bis zu 50 Prozent gefördert werden – und dies bis zu einem maximalen Bruttoentgelt von 1.048 Euro. 5.000 Jobs sollen so entstehen; Kritiker fürchten, dass dadurch reguläre Stellen verdrängt werden könnten. Gleichzeitig hat die Regierung ein Konjunkturprogramm angekündigt: 1,2 Milliarden Euro sollen 20.000 neue Arbeitsplätze schaffen.

Zur steigenden Arbeitslosigkeit trägt auch die Rentenreform bei, die seit dem letztem Jahr Frühpensionierungen schrittweise abbaut. Zuvor waren die Frauen in der Regel ab 55 Jahren und die Männer ab 60 Jahren aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Inzwischen zählt die Angst um den eigenen Arbeitsplatz zu den vordringlichsten Sorgen der Österreicher, wie Umfragen belegen.

Die ausländische Bewunderung für das Wunderland Österreich ist zumindest teilweise das Ergebnis einer sorgfältigen Image-Kampagne von Bundeskanzler Schüssel. Seine Sprecherin Verena Nowotny, so war in der Tageszeitung Der Standard zu lesen, habe ein dichtes Netzwerk in ausländischen Redaktionen aufgebaut.