Auf dem Sprung Richtung Weltelite

Bei den Internationalen Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften der Behinderten sahnten Berliner SportlerInnen am Wochenende Medaillen ab – ein Beweis für die gute Nachwuchsarbeit vor allem des Paralympischen Sportclubs

Im Behindertensport sind selbst kleinere Wettkämpfe oft Mini-Weltmeisterschaften Die Sportler blieben mit ihren Trainern und Familien fast unter sich

Von Christo Förster

Thomas Ulbricht ist Leichtathlet und Sonnyboy. Wenn er mit seinen Raum greifenden Schritten die Absprungmarke beim Weitsprung ansteuert, dann zelebriert er sportliche Präzision. Das strahlende Lächeln, wenn er wieder gelandet ist, und seine höfliches Auftreten bringen den jungen Athleten mit den blonden Haaren auch in der Sympathiewertung weit nach vorn. Der 20-Jährige bewegte sich im Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion, wo am Wochenende die Internationalen Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften der Behinderten stattfanden, wie ein alter Hase. Dabei ist er fast blind. Mit einer Restsehstärke von unter drei Prozent kann er nur schemenhaft erkennen, was um ihn herum passiert.

Die 6,21 Meter, die Ulbricht im Weitsprung erreichte, brachten ihm in der offenen Startklasse den fünften Platz ein. Sieger wurde sein Teamkollege vom Paralympischen Sportclub (PSC) Berlin, Matthias Schröder, mit 6,84 Meter. Schröder, der das gleiche Handicap wie Ulbricht hat, gewann auch den 100-Meter-Lauf in der beeindruckenden Zeit von 11,03 Sekunden und verwies Ulbricht in diesem Rennen auf den dritten Rang.

Dass die beiden befreundeten Athleten nicht nur privat gut harmonieren, bewiesen sie im Staffellauf. Gemeinsam mit Matthias Köhler und David Mahler holten sie in 48,55 Sekunden souverän den Titel für die Nationalstaffel, die diesen Wettkampf als Generalprobe für die anstehende Europameisterschaft nutzte.

Im Behindertensport sind selbst kleinere Wettkämpfe oft Mini-Weltmeisterschaften. So werden die Europameisterschaften in Helsinki mit großer internationaler Beteiligung stattfinden, und auch im Jahn-Stadion tummelten sich am Wochenende Sportler aus vielen Ländern. Vor allem osteuropäische Teams nutzten den kurzen Anfahrtsweg, aber auch Australien oder die Vereinigten Arabischen Emirate schickten ihre besten Athleten an den Start. Trotz dieser geballten Präsenz herausragender Leistungsfähigkeit verliefen sich nur sehr wenige Zuschauer ins Stadion in Prenzlauer Berg. Wie so oft blieben die behinderten Sportler mit ihren Trainern und Familien weitgehend unter sich. „Familiäre Atmosphäre“ nennt das der stets optimistische Thomas Ulbricht.

Der Vielstarter gewann am Samstagnachmittag überraschend den Titel im Speerwerfen. Mit der persönlichen Bestleistung von 42,18 Meter setzte er sich denkbar knapp gegen Albert van de Mee aus den Niederlanden durch. Überhaupt konnte der Berliner Behinderten-Sportverband mit den Leistungen seiner Athleten zufrieden sein. Neben den Erfolgen von Ulbricht und Schröder war es einmal mehr die schon legendäre Marianne Buggenhagen vom SC Berlin, die den Sieg im Kugelstoßen der Rollstuhlfahrerinnen davontrug.

Klaus Kulla, der eine versteifte Hüfte und ein zu kurzes Bein hat, gewann für den PSC Berlin den Kugelstoß-Wettbewerb in seiner Startklasse, seine sehbehinderte Teamkollegin Katrin Müller-Rottgardt musste sich über 100 Meter nur der Australierin Amy Winters geschlagen geben. Die blinde Regina Vollbrecht vom SC Potsdam kam über 10.000 Meter als Erste ins Ziel. Der neue Deutsche B-Jugendmeister im Speerwurf, Florian Warrlich, auch vom PSC Berlin, unterstrich die gute Nachwuchsarbeit des Verbands.

Vor allem dieser Verein ist seit Jahren ein Sammelbecken für hochtalentierte behinderte Sportler aus der Region. So wurden die Leichtathleten des PSC Matthias Schröder und Kathrin Müller-Rottgardt am Samstag als Berliner „Behindertensportler des Jahres 2005“ geehrt.

Thomas Ulbricht möchte auch nach ganz oben, in die absolute Weltelite. Und obwohl er vor zwei Jahren bereits Junioren-Europameister wurde, weiß er, dass er noch viel an sich arbeiten muss. Sein Trainingspartner Matthias Schröder ist ihm dabei eine große Orientierungshilfe. „Matthias ist jetzt 23. Wenn ich in drei Jahren seine Leistungen von heute erreiche, dann bin ich auf einem guten Weg“, sagt Ulbricht. Er ist ein begabter Sportler, der seine Zukunft ganz deutlich vor sich sieht. Deutlicher als viele, denen der Optiker volle Sehkraft bescheinigt.