Unser Wald

Weltweit stehen die Wälder unter Stress. Die wichtigsten Fakten für alle, die auf dem Holzweg sind

Buchenwald auf Rügen: Eine 40 Meter hohe Buche bindet bis zu 8.000 Kilogramm CO2 – einmal Buenos Aires und zurück Foto: Jens Büttner/dpa

Seine Krankheiten

„Von den finnischen Urwäldern bis zu den Pinienwäldern Süditaliens, von den Kiefernwäldern Andalusiens bis zu den russischen Birkenwäldern – nichts prägt das Landschaftsbild Europas so wie der Wald.“ Es ist Ilse Aigner, die hier schwärmt. 2011 war sie noch Landwirtschaftsministerin und die Bedingungen für Bäume in Deutschland schienen günstig: Der Wald wuchs, in vier Jahrzehnten um eine Million Hektar. Doch bald drohte der Klimawandel, das zu verändern. Zuletzt waren die Zahlen dramatisch. „Der Klimawandel ist mit voller Wucht in unseren Wäldern angekommen“, schreibt der Verband der Waldeigentümer. Allein im vergangenen Jahr zerstörten Dürre und Stürme, Pilze und Borkenkäfer 110.000 Hektar Wald – zehnmal mehr als im früheren Durchschnitt.

Wo Sonne die Rinde der Bäume verbrennt, machen sich Pilze breit, durch die Dürre verlieren manche Bäume schon jetzt ihre Blätter – auch die Trockenheit von 2018 rächt sich noch in diesem Jahr. Besonders dramatisch war außerdem der Borkenkäfer, unter dem vor allem die Fichten leiden. Mitten im Sommer ­fallen tote Äste herab und machen Spaziergänge zum Risiko. Der BUND spricht vom „Waldsterben 2.0“ (siehe „Geschichte“). Dabei ist der Wald gerade im Sommer ein wichtiger Schutz für den Menschen: „Durch Verdunstung von Wasser schafft sich der Wald ein eigenes Klima, extreme Hitze wird so abgepuffert“, heißt es beim Nabu. Auch der Psyche tut der Wald gut. Längst gilt Waldbaden als Trend unter gestressten Managern.

Von Lina Verschwele

Seine Gegner

Eigentlich hatte die UN gute Nachrichten: In den vergangenen 25 Jahren halbierte sich das Tempo der weltweiten Abholzung. Zuletzt verlor der Globus jedes Jahr „nur noch“ eine Fläche von der Größe Portugals – sieben Millionen Hektar. Bis 2030 will die UN den Rückgang in Wachstum verwandeln. Gegenüber 2017 sollen sich die Waldflächen der Erde um drei Prozent – sprich: einmal Südafrika – vergrößern.

Unklar ist, ob Brasiliens neuer Präsident den Trend kippt. Der rechtsex­treme Jair Bolsonaro ist einer der engsten Freunde der Agrarlobby und schärfsten Gegner des Umweltschutzes. Gleich nach seinem Amtsantritt im vergangenen Januar übertrug er dem Landwirtschaftsministerium die Macht über die öffentlichen Wälder Brasiliens. Seither geht es bergab: Verglichen mit 2017 ist mehr als doppelt so viel Regenwald für Weiden und Landwirtschaft gerodet worden. Auch im Kongo stieg die Zahl der abgeholzten Flächen zuletzt wieder, in Indonesien dagegen sank sie. Die drei Länder haben 2017 am meisten tropischen Regenwald vernichtet.

Weltweit hängen Abholzung und Fleischherstellung eng zusammen. Wie viel gerodet wird, schwankt auch mit den Weltmarktpreisen. Laut Bundesumweltministerium werden über 90 Prozent der weltweiten Agrarflächen als Weide oder für die Produktion von Futtermitteln genutzt. Die globale Waldzerstörung ist damit verantwortlich für fast 20 Prozent aller Kohlendioxidemissionen. Auch der neueste Bericht des Weltklimarats IPCC warnt vor den Folgen des massiven Fleischkonsums. Wissenschaftler des Rates berechneten, dass die Klimaziele nur noch erreichbar sind, wenn weniger Flächen für Landwirtschaft genutzt werden und man sie zumindest teilweise bewaldet.

Seine Unterstützer

In diesem Jahr könnte die staatliche Unterstützung eine völlig neue Dimension erreichen. Zwanzig mal mehr Geld hat Agrarministerin Klöckner im Juli für die Aufforstung zerstörter Wälder versprochen. Ursprünglich waren 25 Millionen Euro vorgesehen, um die Schäden durch Extremwetter im Wald auszugleichen. Auch die nun geplanten 500 Millionen Euro seien noch zu wenig, räumte sie selbst ein. Die Forstminister von CDU/CSU etwa fordern noch mal 300 Millionen mehr für die nächsten vier Jahre. Im September will Klöckner einen nationalen Waldgipfel organisieren.

Gewissermaßen verhält sich der Forst umgekehrt zur Landwirtschaft: In schlechten Jahren müssen Förster mehr Bäume fällen, dadurch steigt das Angebot, die Preise fallen. So wird es für Waldbesitzer schwieriger, Verluste langfristig auszugleichen.

Seine Superkraft

Laut einer Studie der ETH Zürich ist mehr Wald „die effektivste Maßnahme gegen den Klimawandel“. Zwei Drittel des Kohlenstoffs, den der Mensch seit der Industrialisierung in die Atmosphäre blies, könnten neue Wälder an sich binden. Dafür müsste eine Fläche von der Größe der USA aufgeforstet werden, kalkulierten die Forscher.

Stark umstritten ist, wie realistisch diese Berechnungen sind. Auf Euphorie in den Medien folgte Skepsis der Experten. Manche kritisieren, dass die Studie auch polare Flächen einbezieht. Dort würden Wälder die Flächen aber eher weiter erwärmen, weil dunkler Wald mehr Sonnenstrahlung aufnimmt als heller Schnee. Außerdem seien vom Mensch genutzte Flächen im Potenzial mit einberechnet. Deswegen beharren auch Wissenschaftler weiter darauf, dass sich Industrie und Konsum verändern müssen. Weniger populär als die frohe Botschaft der ETH Zürich wurde ihre Warnung. Ändert sich nichts, geht bis 2050 ein Zwölftel der jetzigen Waldflächen verloren – ein Großteil davon in den Tropen.

Seine Eigentümer

Ist mein Wald glücklich? Diese Frage betrifft viele Personen: Der Waldbesitz in Deutschland ist ein Mosaik aus über zwei Millionen Parteien. Privaten und kommunalen Besitzern gehört über die Hälfte des Waldes in Deutschland, der Rest verteilt sich auf den Bund und die Länder. Zwar regeln die Bundesländer, wie der Waldbau gefördert wird. Ob und wie ein Wald aufgeforstet wird, entscheidet dann grundsätzlich jeder Besitzer selbst. Wann welche Aufforstung klappt, ist deshalb auch eine Geldfrage. Der Verband der Waldeigentümer (AGDW) fordert mehr Unterstützung für den ökologischen Umbau. Er will eine Art Wald-Honorar pro Hektar dafür, dass seine Wälder CO²-Lasten für die Gesellschaft tragen. Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet hat sich dafür ausgesprochen.

Seine Bäume

Früher waren in Deutschland Buchen und Eichen am häufigsten – nach ihnen kam lange nichts. Heute sind fast die Hälfte aller Bäume hierzulande Fichten und Kiefern. Vor allem die Fichte kämpft mit den Folgen des Klimawandels, auch Tannen und Kiefern leiden. Seit Jahren geht die Zahl der Nadelbäume in Deutschland zurück, während der Anteil der Laubbäume steigt. Zwar gelten rund 70 Baumarten als heimisch, sind aber kaum im Wald zu finden. Fachleute fürchten, dass Ulmen und Eschen in Deutschland ganz aussterben. Auch die Buche verträgt die neue Hitze schlecht.

Während sämtliche Verbände den Mischwald propagieren, treffen sich Nadel- und Laubbäume auf nur knapp 40 Prozent der Flächen. Etwa auf derselben Fläche gilt die „Hauptbestockung“, also die beherrschende Baumart, als „naturnah“. Hier wächst der Wald ungefähr so, wie er es auch ohne den Menschen täte. Die krasseste Monokultur dagegen herrscht in Berlin und Brandenburg. Kiefern machen dort noch fast zwei Drittel aller Bäume aus. Nirgends in Deutschland ist der Baumbestand einseitiger. Ein anderes Problem: 2012 zählte die Bundeswald­inventur zuletzt, wie es um die Bäume steht. Die nächste Berechnung kommt im April 2021.

Seine Geschichte

Vor Jahrhunderten bedeckten Buchenwälder mehr als die Hälfte Deutschlands, bis sie für Städte und Felder gerodet wurden. Auch die Lüneburger Heide war einst ein Waldgebiet. Obwohl die Waldfläche seither geschrumpft ist, sprechen viele Verbände von einer Erfolgsgeschichte des deutschen Forstes. Seit über 300 Jahren habe man durch nachhaltige Forstwirtschaft den Raubbau stoppen können. Verglichen mit anderen Industrieländern stehe Deutschland mit einem Drittel Waldfläche gut da. Um 1900 etwa war Deutschland um zehn Prozent weniger bewaldet.

Mit den jüngsten Zahlen kommt jedoch die Angst vor dem Waldsterben zurück. In den 80ern bedrohten Schadstoffe die Wälder, Bäume wurden schütter und starben. 1984 schrieb der Spiegel: „Mittlerweile siecht mehr als die Hälfte aller Bäume dahin.“ Die Rede war von einer tickenden Zeitbombe und einer Umweltkatastrophe von unvorstellbarem Ausmaß. Auf Demonstrationen gegen das Waldsterben folgten Reformen für saubere Luft. Große Teile des Waldes erholten sich. Heute sorgen sich Ökologen um saure Böden statt sauren Regen: Schadstoffe, vor allem Stickstoff aus der Düngung, belasten die Erde.

Seine Zukunft

„Vielfalt ist eine Lebensversicherung der Evolution“, schreibt der Bund Deutscher Forstleute. Klimaplastisch ist das Schlagwort der Stunde: Welcher Baum kann dem Klimawandel standhalten? Im Gespräch sind Ahorne und mediterrane Flaumeichen, Weißtannen und Douglasien, Tulpenbäume, Platanen und sogar Zedern aus dem Libanon. Welche Arten zur Aufforstung taugen, hängt vom Standort ab. Fest steht: Nur eine Mischung kann den Wald stabilisieren.

Für die Waldgesundheit ist die Vielfalt der Bäume aber nur ein Aspekt. Fachleute wollen, dass mehr Wild geschossen wird, damit weniger Bäume verbissen werden. Zu vielen Rehen steht zu wenig Personal gegenüber. Der Bund Deutscher Forstleute meint: „Es fehlen an allen Ecken und Enden qualifizierte Forstleute, Waldarbeiter und Dienstleister.“