Lohnraub auf dem Bau

Heute steht in Düsseldorf ein polnischer Schleuser vor Gericht. Er soll Landsleute zu Dumpinglöhnen an deutsche Baufirmen verliehen haben. IG-Bau: Der Anteil illegaler Bauarbeiter in NRW ist groß

von ANNIKA JOERES

G. Tadeusz hatte einen perfekten Plan: Er schleppte seine polnischen Landsleute zu Baufirmen in Düsseldorf und Umgebung. Dort arbeiteten sie, zwölf Stunden täglich, in Sommermonaten auch 15 Stunden, sechs Tage die Woche. Die Miete für ihre kleine Wohnbaracke mussten sie von ihrem kargen Stundenlohn noch abziehen. Sparen konnten hingegen Tadeusz und die Baulöwen: Der Schleuser bekam Geld für die billigen Arbeiter, die Firmen billige Arbeiter für wenig Geld. Niemand zalhte Sozialversicherungsbeiträge.

Heute muss sich Tadeusz vor dem Düsseldorfer Landesgericht verantworten. Ihm wird vorgeworfen, in Warschau eine Scheinfirma aufgebaut zu haben, um Arbeiter zu verleihen. Außerdem soll er Unterlagen über die Arbeiter gefälscht haben. Für Cornelia Schuster, Sprecherin des Gerichts, ist der Prozess gegen Tadeusz „einmalig“. In ihrer zweijährigen Amtszeit sei ihr kein ähnlicher Fall untergekommen.

Für das Gericht ein Einzelfall, für die ArbeiterInnen auf den Baustellen Alltag. Die Gewerkschaft IG BAU schätzt, dass auf nordrhein-westfälischen Baustellen jedeR zweite unter einem so genannten Werksvertrag arbeitet, das heißt, aus dem Ausland zur Arbeit eingereist ist. Und jedeR dritte davon arbeitet illegal: Bei 600.000 ArbeiterInnen wären das 100.000 Menschen, die ohne Sozialversicherung zu einem Mindestlohn 70 bis 80 Stunden in der Woche knüppeln. „Das ist ein absoluter Skandal“, sagt Sieghardt Molder, Geschäftsführer der Düsseldorfer IG BAU. Dabei seien auch diese Zahlen nur vorsichtige Schätzungen, die illegale Arbeit auf dem Bau übersteige mittlerweile die Vorstellungskraft. „Wir müssen uns schämen vor den ausländischen ArbeitnehmerInnen“, sagt er, „das ist Lohnraub.“

Der Arbeitskräftehandel sollte ursprünglich die Kontakte zwischen deutschen Firmen und Firmen in den neuen Beitrittsländern der EU verbessern. Polen sollten zu deutschen Bedingungen auf deutschen Baustellen arbeiten können – und umgekehrt. Allerdings lohnt sich für die hiesigen Bauarbeiter der Job im Nachbarland nicht. In Deutschland verdient ein Facharbeiter mindestens 12,67 Euro in der Stunde, in Polen ist es oft weniger als die Hälfte.

Deshalb wenden sich die polnischen Bauarbeiter oft hilfesuchend an Firmen, die ihnen Lohn und Brot in Deutschland versprechen, um ihrer Armut zu entkommen; knapp über die Hälfte der Polen und Polinnen lebt unter dem sozialen Minimum, oft zu sechs oder sieben Personen in zwei Räumen. Fast jedeR fünfte ist ohne Job. Die neu geschaffene „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ (FKS) in Köln soll dem Arbeiterhandel ein Ende machen. Seit einem Jahr arbeiten hier 5.000 Menschen, bis Ende diesen Jahres sollen es 7.000 werden. Vor allem Finanzbeamte sitzen in der Megabehörde. Sie tauchen unangemeldet auf den Baustellen auf, überprüfen die Verträge der Jobber und ob sie tatsächlich den vereinbarten Lohn erhalten. Der steht nämlich oft nur auf dem Papier. „Die Menschen werden für acht Stunden bezahlt, schuften aber 12 oder 14 Stunden“, sagt Ines Graf von der FKS. Dabei sei es kein Problem, die illegal Arbeitenden aufzuspüren. „Die Drahtzieher jedoch, die Scheinfirmen im Ausland, die kriegen wir kaum zu packen“, sagt Graf.

Niemand wagt sich derzeit an Schätzungen über die Erfolgsquote der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Die Gewerkschaft der Polizei kritisiert die lasche Vorgehensweise. „Die Bekämpfung der Schwarzarbeit ist nur vorgetäuscht“, sagt ihr Bundesvorsitzender Konrad Freiberg. Seine Vermutung: Die Bundesregierung fürchtet, dass eine entschiedene Bekämpfung der Schwarzarbeit die Konjunktur bremsen könne. „Bisher ist alles Symbolpolitik“, so Freiberg.

Auch Gewerkschafter Molder stellt den Willen der Regierung in Frage. „Die Lobby der Baumogule ist zu stark“, sagt er. Diese hätten sich seit Jahren geweigert, mit der Polizei zu kooperieren. „Die Kontrollen müssen verstärkt werden“, fordert er. Außerdem sollten den Firmen viel strengere Strafen auferlegt werden. „Bisher sind die Bußgelder Peanuts, das bezahlen sie aus der Portokasse.“

Auch Tadeusz und die deutschen Firmen, soweit man sie zur Verantwortung zieht, werden mit einer milden Strafe davon kommen. Richterin Schuster rechnet damit, dass er mit einer Freiheitsstrafe auf Bewährung davon kommt. Ende August sind die letzten Verhandlungstage.