Im Drogenstaat

Honduras’ Gesellschaft ist polarisiert, die Regierung verfassungswidrig, Drogenhandel und Gewalt regieren mit. Da ist unabhängiger Journalismus eine echte Herausforderung

Hat die Presse gern für sich: Honduras’ Präsident Juan Orlando Hernandez Foto: Jacquelyn Martin/ap

Aus Tegucigalpa Fernando Silva Cruz

Honduras ist ein kleines Land in Zentralamerika mit etwas mehr als 9 Millionen Einwohnern, von denen laut Weltbank rund 5 Millionen in Armut leben. Es hat sich dreimal für die Fußballweltmeisterschaft qualifiziert und hat einen verfassungswidrig wiedergewählten Präsidenten, über den es in den USA wegen Verwicklung in den Drogenhandel eine Gerichtsakte gibt.

Natürlich gehört viel mehr zur honduranischen Wirklichkeit. Aber es ist ein guter Anfang, um zu sehen, worüber der unabhängige Journalismus inmitten von Gewalt und Polarisierung der Gesellschaft seit zehn Jahren berichtet.

Zweifelsohne ist es seit 2009 noch wichtiger geworden, über Armut, Korruption und Gewalt aus einem anderen Blickwinkel zu berichten. Damals stürzte ein Staatsstreich den Präsidenten Manuel Zelaya und seine Regierung. Die lang anhaltende soziale und politische Krise war die perfekte Nische, in der die Medien aus der Opposition heraus entstehen konnten, vor allem digitale Medien, die mit der Tradition der gedruckten Zeitungen in der Hand von Unternehmern und einflussreichen Politikern brachen.

Aber der Staatsstreich war nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Demokratie, er hat auch die Gesellschaft in zwei Teile gespalten. Seitdem scheinen sich alle Diskurse auf schwarz oder Weiß zu reduzieren. Der Pro-Regierungs-Diskurs der Traditionsmedien auf der einen, die Mehrheit der unabhängigen Medien auf der anderen Seite. Letztere haben sich für den Aktivismus zugunsten von allem entschieden, was irgendwie nach Opposition aussieht. Dass es Richtschnur für Journalisten sein sollte, alle Mächtigen gleichermaßen zur Rechenschaft zu ziehen, scheint in den Journalismusseminaren der Universität in Vergessenheit geraten zu sein.

Auf der einen Seite stehen die Journalisten der Traditionsmedien, die vergessen, über die Korruption der Regierung zu berichten, weil sie Reisen, Aufmerksamkeiten und Journalistenpreise von genau jenen Politikern geschenkt bekommen, gegen die wegen Unterschlagung riesiger staatlicher Geldsummen juristisch ermittelt wird.

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Fernando Silva Cruz, 23, ist Reporter bei Contra­corriente in Honduras. Das 2015 gegründete Onlinemedium hat sich dem investigativen Journalismus verschrieben.

www.contracorriente.red

Bei einem kürzlichen Besuch des Präsidenten Juan Orlando Hernández zur Eröffnung der honduranischen Handelsvertretung in Jerusalem als Ausdruck der Unterstützung der Israelpolitik von US-Präsident Donald Trump wurde er von einer Delegation evangelischer Priester und Journalisten begleitet – den beiden Kräften, die seine Regierung stützen. Die Journalisten werden zu diesen Reisen von der Regierung eingeladen und in Luxushotels untergebracht – finanziert mit den Steuergeldern jener Bevölkerung, die sie zu informieren vorgeben.

Auf der mutmaßlichen Gegenseite genießt die von dem gestürzten Ex-Präsidenten Manuel Zelaya Rosales und seiner Partei Libertad y Refundación angeführte Opposition die Unterstützung von aktivistischen Journalisten seiner Partei. Die würden sich niemals trauen, seine Amtsführung infrage zu stellen oder die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, er könne Verbindungen zum Drogenhandel haben, der sich in dem Land etabliert hat.

Einige Journalisten haben sogar für die Oppositionspartei für öffentliche Ämter kandidiert, was sie nicht davon abhält, Journalisten zu bleiben. Aber wenn sie aufhören, unbequeme Fragen zu stellen, dann sind sie vielleicht gar nicht so anders als die anderen Journalisten, die sie selbst als „Gehaltsempfänger“ verspotten.

Das Fehlen von kritischen Nachfragen hat die negative Attitüde der Mächtigen gegenüber den unbequemen Fragen jener nationalen und internationalen Journalisten noch verstärkt, die sich tatsächlich unermüdlich darum bemühen, so präzise wie möglich über die ­honduranische Realität zu berichten.

Als der Nachrichtensender Univisión mit Sitz in den USA die Nachricht verbreitete, der Präsident Juan Orlando Hernández werde wegen möglicher Verwicklungen in den Drogenhandel in den Akten eines Strafgerichts in den Vereinigten Staaten erwähnt, berief der Präsident eine Pressekonferenz ein und verteilte eine Erklärung. Darin griff er den Journalisten scharf an, der den Artikel geschrieben hatte.

Die Regierenden haben das kleine zentralamerikanische Land als ihre kleine Parzelle der Illegalität verwaltet. Das muss Journalismus zeigen

Wer in Honduras Informa­tionen verbreitet, die die Tradi­tions­medien gar nicht erst suchen würden, macht sich bereits zur Zielscheibe von Angriffen. Einige Websites warfen interna­tio­nalen Journalisten vor, „lebenswichtiger Teil der Desinformationskampagne der Linken“ zu sein. Die Opposition wirft der Regierung vor, eine Diktatur errichtet zu haben. Aber sie selbst reagiert auf kritische Fragen der Presse nicht viel anders. Als ein Journalist von Contracorriente vor einigen Wochen dem Ex-Präsidenten Zelaya unbequeme Fragen stellte, verdächtigte dieser den Journalisten, er werde von der Regierung bezahlt, um ihn zu verhören.

Angesichts solcher Konsequenzen der Polarisierung wird der ernsthafte, nicht Partei ergreifende Journalismus zu einer wichtigen Herausforderung. Glücklicherweise ist es eine Aufgabe, der sich eine ganze Welle von Journalisten widmet, die in dem Chaos eine historische Chance dafür sehen, der Stein im Schuh der Korruption zu sein.

Ganz sicher ist unbequemer Journalismus in Honduras ein Risiko. Nach Angaben der Nationalen Menschenrechtskommission sind in den letzten Jahren mindestens 70 Journalisten umgebracht worden. Aber diese Bedrohung ist komplex in einer Region des Drogentransits in Richtung USA.

Honduras wird Drogenstaat genannt. Das bedeutet, dass die organisierte Kriminalität eine Symbiose mit fast allen Bereichen der Gesellschaft eingegangen ist, mitunter auch mit dem Journalismus. Deshalb ist die Forderung, alle Umstände aufzuklären, die zur Ermordung von Journalisten führen, etwas komplexer: Es gilt, herauszufinden, ob honduranische Presseleute aufgrund ihrer Berufsausübung umgebracht werden oder aus anderen Gründen.

Der spanische Journalist Alberto Arce schreibt in seinem Buch ­„Novato en nota roja“: „Von keinem der 30 in den letzten Jahren in Honduras ermordeten Journalisten findet sich auch nur ein einziger Artikel über Drogennetzwerke, Handel, korrupte Politiker oder Polizisten. Und man findet auch kaum einen Journalisten, der wegen seiner Opposition gegen den Staatsstreich von 2009 ermordet wurde.“

Der honduranische ­Journalismus steht vor großen Aufgaben. Aber aus den Problemen erwachsen auch unzählige Chancen, angefangen bei der Möglichkeit, dass die Bevölkerung wieder anfängt, der Presse Glauben zu schenken und dass diese ihre Rolle als kon­trol­lierende Gewalt, die sie niemals hätte aufgeben dürfen, wieder annimmt.

Der ernsthafte und engagierte Journalismus hat die Aufgabe, inner- und außerhalb von Honduras die notwendigen Zweifel an den Gründen der Migration, der Gewalt und der Korruption zu säen. Er muss das tun, damit sich die Gesellschaft darüber Klarheit verschaffen kann, wie die Regierenden seit Jahren dieses kleine zentralamerikanische Land als ihre kleine Parzelle der Illegalität verwalten.