„Es ist richtig, den ersten Schritt zu tun“

Die Bremer Chorwerkstatt will mit dem Armenischen Oratorium an den Völkermord von 1915 erinnern: gemeinsam mit Türken und Armeniern. Doch die Suche nach türkischen SängerInnen gestaltet sich schwierig – und ist ein Lernprozess für den Chor

Bremen taz ■ „Ein bisschen enttäuscht“ sei man, sagt Kurt Sommer vom Vorstand der Bremer Chorwerkstatt. „Aber nicht entmutigt“, setzt er noch dazu. Also probt der Chor weiter für den November, wenn er das „Armenische Oratorium“ zum Gedenken an den Völkermord von 1915 aufführen will. Nur eben ohne türkische Sängerinnen und Sänger, wie eigentlich gedacht. Denn der einzige türkische Interessent hat sich inzwischen verabschiedet. „Er sagte, er hätte keine Zeit“, erklärt Sommer, aber es klingt nicht so, als glaube wirklich daran.

Die Verbindung von politischer Einmischung und Musik ist Programm bei der Bremer Chorwerkstatt. Seit 1981 widmen sie sich dem „gesellschaftlich orientieren Liedgut“, so haben sie es auf ihrem Flugblatt formuliert. Das reichte in der Vergangenheit von einer Sozialgeschichte des Kaffees bis zum Gedenken an die Reichsprogromnacht. Das armenische Oratorium hat Kurt Sommer zum ersten Mal bei einem befreundeten Chor in Groningen gehört. 1999 haben es die Bremer bei einem Konzert zum Thema Völkermord schon einmal aufgeführt. Jetzt möchte es der Chor wieder aufnehmen: „Es gibt ausgesprochene Liebhaber des Oratoriums“, sagt Sommer. Dazu gehört auch er selbst, der anschaulich von der Schönheit der orientalischen Instrumente schwärmt, wie der des Dudeks, einer armenischen Oboe, die aus Aprikosenholz angefertigt wird und ein Rosenholz-Doppelblatt besitzt, wie Sommer erklärt.

Doch zumindest nach außen steht die polititsche Dimension der Aufführung im Vordergrund: In diesem Jahr jährt sich

der Völkermord an den Armeniern zum neunzigsten Mal. Und im Herbst sollen die EU-Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei beginnen. In sein Flugblatt hat der Chor noch recht selbstbewusst geschrieben: „Da eine solche Mitgliedschaft ohne die Verwirklichung der Menschenrechte und die Anerkennung des Genozids undenkbar ist, soll die Aufführung des Oratoriums zum notwendigen Diskussions- und Aussöhnungsprozess beitragen“.

Um sowohl türkische als auch armenische und kurdische Sängerinnen und Sänger zu finden, hat der Chor eine Anzeige geschaltet. „Daraufhin passierte erst einmal gar nichts“, sagt Kurt Sommer. Erst über persönliche Kontakte sind eine Armenierin und zwei Kurdinnen zum Chor gestoßen. Und jener türkische Musiker, den seine Frau nach einer Probe wegen Zeitmangels entschuldigen ließ. „Ich habe keine Zeit“, erklärt Zehki Kara dazu am Telefon. Viel mehr möchte er nicht dazu sagen. „Ich bin Musiker und habe kein Interesse an Politik“. Aber dann sagt er doch noch, dass er kein Problem mit dem Projekt habe, wohl aber damit, dass die Schuld am armenischen Genozid immer nur den Türken gegeben werde. „Die andere Seite hat auch viel Schuld“.

So hat die Bremer Chorwerkstatt nur einen türkischen Sänger: Can Tufan, türkischer Zypriot und jahrelang Leiter des griechisch-türkischen Solidaritätschors. „Es wäre nicht das erste Mal, dass er Druck von der Masse bekommt“, sagt Kurt Sommer. „Aber er ist schon so lange hier, er steht darüber“. Tufan war es auch, der dem Chor riet, sich mit dem türkischen Journalisten Orhan Calisir zu treffen. „Ihr müsst euch nicht wundern, wenn keine Türken zu euch kommen“, hat Calisir gesagt. Denn das Flugblatt sei viel zu fordernd formuliert. Und Sommer gibt ihm Recht. „Wenn man mit Leuten ins Gespräch kommen will, kann man nicht gleich Bedingungen stellen“. Im neuen Flugblatt fehlt der Passus zu den EU-Beitritts-Verhandlungen und den erforderlichen Schritten in der Türkei. Neue türkische Interessenten haben sich dennoch nicht gemeldet.

Doch der Chor lässt sich nicht entmutigen: „Wir waren und sind ein bisschen naiv“, sagt Kurt Sommer. „Aber es ist richtig, den ersten Schritt zu tun und deshalb versuchen wir es immer noch.“

Friederike Gräff