Neuneinhalb Wochen, die erste
: Himmel- und Höllenwege

Die taz-Redakteurin Susanne Gieffers verbringt neuneinhalb Wochen in den USA und arbeitet bei der StarTribune, der Tageszeitung von Minneapolis. Einmal wöchentlich berichtet sie aus der Stadt, in der, wenn man will, vieles an Bremen erinnert

Verlauf dich nicht, sagt Bill, ich verlauf mich da immer. Verlauf dich nicht, sagt Jane, andauernd verlaufe ich mich da. Ich hab’s noch nie geschafft, mich nicht zu verlaufen, sagt Julie.

Was die neuen Kollegen anpreisen, als sei’s ein megalomanes Maisfeldlabyrinth, ist eine der schönsten Erfindungen, seit es Hochhäuser gibt und eines der wenigen Wahrzeichen von Minneapolis – der Stadt, die mir für die nächsten Wochen Bremen ersetzt. Mitten in der nordamerikanischen Pampa, weit weg von Ost- und Westküste, von Touristenhighlights und atemberaubenden Landschaften steht ein Haufen Hochhäuser, umgeben von einem Haufen Parkplätzen, umgeben von einem Haufen Stadtteilen: Minneapolis.

Bremen und die Stadt im US-Staat Minnesota haben eine Menge gemein, und seien es nur die Probleme, die mal die einen, mal die anderen eleganter gelöst haben. Wie die Sache mit dem Labyrinth. Es sind die Skyways, Himmelswege, die nicht zu Höherem, dafür aber über die Straße führen. Downtowns Hochhäuser sind mit rund 65 solcher gläserner Übergänger von Haus zu Haus verbunden, an deren Enden Banken, Suppenküchen, Juweliere, Telefonkartenverkäufer und Cookie-Bäcker auf Kunden warten.

So oft es in Bremen regnet, so oft wird es in Minneapolis kalt, bitterkalt. Der erste Schnee kommt im Oktober, der letzte oft im Mai. Wie also Geld ausgeben, ohne vom Eiswind weggefegt zu werden? Während in Bremen diverse Passagen nur kurzfristig vor Regen schützen, legt der Minneapolitaner (das soll ich nicht schreiben, sagt Julie, das klinge so nach Italokeks), legt also der Minneapolitaner im heftigsten Schneesturm locker zehn Kilometer trocken zurück – sauber und warm. Und verläuft sich. Obwohl die Strassen nach scheinbar simplem System nummeriert sind, hilft sortiertes Gehen nichts. Am Ende bleibt nur der Blick aus dem Fenster, um eines der Strassenschilder zu entziffern und die Hoffnung, es im Stadtplan wiederzufinden.

Was schräg bis unheimlich ist, heißt hier übrigens „weird“ (sprich: uuiiieeerd, mit Grusel-Timbre am Schluss). Und so schön uuiiieeerd ist es hier häufig. Lichte Atrien, ein Kranichklon aus Kupfer speit Wasser durch vier Etagen, gegenüber hängt Kunst, aber falschrum (weird). Vorbei an Bankschaltern mit fuchtelnden Kunden und vielen F-Worten, vorbei an Yellow-Cheddar-Popcorn-Ständen neben Dentalkliniken, an Bananen für ein Dollar das Stück und an Erdnussbuttercookies für 50 Cent, bis es nicht mehr weitergeht. Eingang strengstens verboten, steht auf der dicken Metalltür, bei Lebensgefahr, und Waffen sind hier aber sowas von verboten. Das muss das Gefängnis sein. Mitten in Downtown. Ohne Skyway, aber mit Untergrundanschluss hinter der verschlossenen Tür. Ein Hellway, ein Höllenweg. Das Gefängnis ist ein Hochhaus, sieht aus wie alle anderen, nur die schmalen Schlitze dort, wo sonst die Fenster sind, lassen auf sein Inneres schließen. Weird.

Ein paar Blocks weiter steht zwischen vielen Parkplätzen das Jugendgefängnis, futuristisch, dunkel, unschön. Auch zu ihm führen Hellways von den Gerichten in Downtown. Zwischen Erwachsenen- und Jugendknast ragen die Gebäude der StarTribune in den Himmel, der Tageszeitung, die mich die nächsten Monate beherbergt. Ob der eklige braune Klotz da vorn nun das Jugendgefängnis sei, frage ich Jane am ersten Tag. „Nein“, sagt sie trocken, „das ist das Gefängnis für die Leute von der StarTribune.“ Weird.

Die nächsten Teile der Serie erscheinen jeweils donnerstags in der taz.