Von Weimar bis Themar

Viel los in Thüringen: Das Kulturland zwischen großer Kunst und Rechtsrock

Von Michael Bartsch

Reflexartig verbinden sich mit dem Kulturland Thüringen Assoziationen kultureller Touristenattraktionen. In Weimar, 1999 europäische Kulturhauptstadt, muss man einfach gewesen sein. Nicht nur, um vor Rietschels Goethe-Schiller-Denkmal niederzuknien, auch beim Kunstfest oder seit Kurzem im Bauhaus-Museum. Aber auch das Ausschwärmen in die Fläche lohnt sich. Die traditionsreichen Bühnen in Meiningen oder Gera-Altenburg, ambitionierte Theater wie in Rudolstadt oder Jena verdienen es, entdeckt zu werden. In der Landeshauptstadt Erfurt ist 2003 ein Theaterneubau eröffnet worden.

Den Kontrapunkt zu solcher Hochkultur bildet eine Antikultur, die Thüringens Ruf beschädigt und mit der das Land eine makabre Spitzenposition erlangt hat. Die Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus Mobit zählte im Vorjahr 71 belegbare Nazi-Rockkonzerte, so viele wie in keinem anderen Bundesland. Ihre Zahl ist von Jahr zu Jahr gestiegen. Schwerpunkte sind Apolda und vor allem Themar in Südthüringen, wo ein AfD-Mann sein Grundstück zur Verfügung stellt. Hier fand mit 6.000 ultrarechten Teilnehmern aus ganz Europa im Juli 2017 das größte in der Bundesrepublik je beobachtete Nazikonzert statt. Organisator ist Tommy Frenck, der im benachbarten Kloster Veßra eine Kneipe und einen Versandhandel betreibt und mit diesen Konzerten Geld für die rechts­ex­tre­me Szene beschafft.

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte 2017 eine Änderung des Versammlungsrechts gefordert, damit solche Konzerte nicht mehr vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt werden können. Rot-Rot-Grün nahm aber letztlich Abstand von diesem Eingriff. Beim Erfurter taz-Wahlforum am Mittwochabend wiesen die Spitzenkandidaten darauf hin, dass der konsequente Widerstand von Rot-Rot-Grün zu Teilerfolgen bei der Verhinderung weiterer Konzerte geführt hat. Am vergangenen Samstag spielte die linke Punkband Feine Sahne Fischfilet bewusst in Themar, allerdings nur vor 300 Hörern.

Die von der Neuen Rechten in die Gesellschaft getragene Polarisierung fordert auch in Thüringen Reaktionen der Kulturszene heraus. Auf eine Intendantenumfrage von MDR Kultur antwortete beispielsweise der Rudolstädter Intendant und frühere Liedermacher Steffen Mensching: „Die zunehmende Aggressivität der Meinungsbildung, die Unerbittlichkeit, … die wachsende Respektlosigkeit und der Verlust an Dialogfähigkeit, all diese Entwicklungen müssen wir im Blick haben, wenn wir Theater machen, schon deshalb, weil es Haltungen sind, mit denen man kein Theater machen kann.“

Der für Kultur zuständige Staatskanzleichef Benjamin-­Immanuel Hoff sieht in Thüringen gar kein so zerrissenes Land wie in Sachsen. Er spricht lieber über kulturpolitische Erfreulichkeiten und Thüringer Besonderheiten. Die schmerzhaften Einschnitte insbesondere bei den teuren Theatern und Orchestern liegen ja auch schon weiter zurück. Sein Vorgänger Christoph Matschie (SPD) habe ihm als Kämpfer für eine gute Finanzausstattung 2014 ein „gut bestelltes Feld“ hinterlassen, verblüfft er. Dennoch hatte Hoff mit einem auf Kooperationen und Spartenteilungen ausgerichteten Strategiepapier 2015 zunächst für Aufregung gesorgt. Es habe aber letztlich dazu geführt, dass man die Debatte nicht zuerst aus finanzieller, sondern aus strukturpolitischer Perspektive führe und alle Standorte erhalte, sagt er. Der Minister spricht sich für mehr kulturelle Daseinsvorsorge des Staats aus.

Dazu gehört die spektakuläre Enteignung des Eigentümers von Schloss Reinhardsbrunn in Friedrichroda, weil dieser das öffentlich relevante Kulturgut verfallen lässt. Hoff will auch beim Kulturangebot gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Landesteilen. Ein auf die Regionalförderung ausgerichtetes Kulturraumgesetz wie in Sachsen hält er aber bei 17 Landkreisen für nicht praktikabel. Die ländlichen Räume Thüringens vergleicht er mit einem historisch gewachsenen „Städtenetz“. „Ich habe nichts gegen Kleinstaaterei“, geht er indirekt zu den gescheiterten Gebietsreformplänen auf Distanz.

Eine Aufgabe für die kommende Legislatur bleibt die Rückkehr zum Flächentarif auch für öffentlich bezahlte Künstler. Noch wichtiger als die Hochkultur seien 850.000 im weitesten Sinn kunstaffine Ehrenamtler, bei nur 2,1 Millionen Einwohnern Thüringens eine verblüffende Zahl.