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Ungleiche Bildungsrepublik

In der Weiterbildung der Beschäftigten gibt es in Deutschland positive Zahlen zu vermelden, aber die soziale Ungleichheit trübt die schönen Aussichten. Der DGB-Niedersachsen fordert mehr Einsatz

„Arbeitslose, Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung und Menschen mit Migrations-hintergrund nehmen deutlich seltener an Weiterbildungen teil“

Tina Kolbeck-Landau, Sprecherin DGB Niedersachsen & Bremen

Von Yasemin Fusco

Eigentlich sollte es doch ganz einfach sein: Geringqualifizierte Erwerbstätige und Erwerbslose mit oder ohne Migrationsgeschichte sollten schnell zu Fachkräften aus- und weitergebildet werden. Und doch ist Deutschland in den vergangenen Jahren – genau genommen seit 2008 – seinem Ziel, die Weiterbildung zur „vierten Säule“ des Bildungssystems auszubauen, nicht sonderlich näher gekommen. Das ist das Ergebnis der Analyse des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zur sozialen Spaltung in betrieblichen, aber auch in der nicht-betrieblichen Aus- und Weiterbildung 2019, die gerade mit dem Titel „Die Zwei-Klassen-Gesellschaft“ veröffentlicht wurde.

Zahlen stimmen, Ziel verfehlt

Die allerwenigsten erinnern sich noch daran, als Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsident*innen der Bundesländer nach dem Bildungsgipfel 2008 in Dresden die Bildungsrepublik Deutschland ausriefen und beim Thema Weiterbildung von gering qualifizierten Erwerbstätigen das ehrgeizige Ziel formulierten, die Beteiligung an betrieblichen Weiterbildungen von seinerzeit 43 Prozent bis auf 50 Prozent der Erwerbsbevölkerung zu steigern im Jahr 2015.

Im vergangenen Jahr haben 54 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter an betrieblichen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen. Nicht betriebliche und individuelle Weiterbildungsmaßnahmen wie Vorträge und Schulungen am Arbeitsplatz, aber auch Privatunterricht und Weiterbildungen in der Freizeit liegen in Deutschland im Schnitt bei 8,3 Prozent. Die Quoten zur Erfüllung der Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen hat die EU für alle Mitgliedstaaten vorgegeben. So lag der Durchschnittswert der 28 Mitgliedsstaaten bei 11,1 Prozent.

Bundesweit ist Hamburg zwar Spitzenreiterin mit 10,7 Prozent Anteil der Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen von Menschen im erwerbsfähigen Alter, verfehlt aber auch die anvisierte Quote der EU für das Jahr 2020 von 15 Prozent. Dicht hinter Hamburg liegt Bremen mit 10,2 Prozent.Schleswig-Holstein liegt etwas über dem bundesweiten Durchschnitt mit 8,4 Prozent. Auf dem vorletzten Platz landet Niedersachsen mit einer Beteiligung von gerade mal 7,2 Prozent.

Bereits ein Jahr vor dem selbst gesteckten Ziel, im Jahr 2014, erreichte die selbsternannte Bildungsrepublik eine betriebliche Weiterbildungsbeteiligung von 51 Prozent. Doch ein tieferer Blick zeigt: Hinter dem Erreichen des Ziels steckt ein noch viel größeres Problem, nämlich die soziale Ungleichheit und die ungleiche Verteilung von Weiterbildungsmaßnahmen zwischen Menschen mit einer geringen Qualifizierung und Menschen mit Führungsverantwortung.

Dass aber die ungleiche Verteilung von Weiterbildung zu einem echten Problem geworden ist, findet der DGB Niedersachsen.

Bereits im vergangenen Januar veröffentlichte er ein Positionspapier, in dem er fordert, die Weiterbildung weiter zu fördern und auf soziale Ungleichheiten zu reagieren. „Arbeitslose, Menschen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung und Menschen mit Migrationshintergrund nehmen deutlich seltener an Weiterbildungen teil“, sagt Tina Kolbeck-Landau, Sprecherin des DGB Niedersachsen, Bremen und Sachsen-Anhalt. Sie blieben somit abgehängt.

Unter den Erwerbstätigen haben 2018 insgesamt gerade einmal 44 Prozent der Ungelernten eine Weiterbildung besucht. Dem gegenüber stehen 78 Prozent der Chefinnen und Chefs, die eine Weiterbildungsmaßnahme besucht hatten. Kolbeck-Landau kritisiert, dass Empfänger*innen von Hartz IV zum Teil sehr kurze Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung durchlaufen. „Maßnahmen der beruflichen Bildung hingegen sind sehr selten und solche, die zu einem Abschluss führen, werden nahezu gar nicht gefördert“, sagt sie.

„Die soziale Auslese, die ein Problem im gesamten Bildungssystem ist, setzt sich in der Weiterbildung fort“, heißt es dazu in der DGB-Analyse. Zu Weiterbildungen zählen laut DGB neben Kursen oder Lehrgängen auch temporäre Bildungs- und Weiterbildungsveranstaltungen durch Vorträge, Schulungen am Arbeitsplatz, aber auch Privatunterricht in der Freizeit.

Die Betriebe in Niedersachsen sieht Kolbeck-Landau neben der Politik in der Pflicht: „Sie sollten ihre Beschäftigten bei der Weiterbildung unterstützen“, fordert sie. Es brauche entsprechende Freistellungen der Beschäftigten und insbesondere mehr Angebote für Geringqualifizierte.

Soziale Ungleichheit bei Weiterbildungen

„Aufgrund des Fachkräftemangels haben wir ein fundamentales Interesse daran, Menschen mit geringer Qualifikation zu den Fachkräften von morgen weiterzuentwickeln“, sagt Christian Budde, Sprecher des Arbeitgeberverbandes Niedersachsen Metall, der für über 300 überwiegend mittelständische Industrieunternehmen der Metall- und Elektroindustrie in Niedersachsen spricht.

Der Verband versuche Geringqualifizierte durch Hauptschul-Initiativen in Kooperation mit niedersächsischen Unternehmen zur Aus- und Weiterbildung in ihrer Branche anzuwerben und weiter im Verlauf ihrer Ausbildung zu begleiten, sagt Budde.