Geschenkeverknappung

Wenn etwas keinen Spaß mehr macht, sollte man es lassen. Oder wenigstens soweit einschränken, bis es wieder Freude bereitet

Von Ilka Kreutzträger

Unter dem Baum lagen immer hohe Geschenkestapel, Oles hier vorn, Neeles da beim Kamin, Antjes, Opas, Omas und so weiter. Und im Laufe der Jahre sind diese Haufen immer größer geworden. Und die zu beschenkenden Menschen wurden ja auch immer mehr, weil so eine Familie wächst. Leider schrumpft sie natürlich auch wieder. Einen Stapel für Uroma brauchen wir nicht mehr. Aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls ist uns diese Sache entglitten.

Es lief immer so ab: Nach dem Essen stürzten sich alle auf die jeweiligen Geschenkestapel, rissen das Papier ab, pfefferten es irgendwo hin, riefen irgendwas wie „Oh, schön ein Dingsbums!“ und das immer weiter, bis alles ausgepackt war. Das hat aus drei Gründen irgendwann einfach keinen mehr Spaß gemacht.

1. Diese Art des Geschenkeauspackens endet zwangsläufig mit einer Enttäuschung, weil: Oh nein! Der ganze Haufen! Ist weg! Wühl! Such! Nein, wirklich! Es ist nichts mehr da, um es aufzureißen, och menno.

2. Der Wohnzimmerboden liegt binnen Minuten voller Müll. Das meiste ist Papier. Papier, Papier, Papier. Papier, das ein wirklich kurzes Leben hatte und nun zerknüllt und zerfetzt herumliegt und ins Altpapier wandert (wenn es nicht beschichtet ist, denn dann darf es da nicht rein, sondern gehört in den Restmüll). Und die Uroma, die ihre Geschenke immer in gebrauchtes Papier einschlug und niemals Tesafilm benutzte, ist leider nicht mehr da. Sie schrieb auch nichts in Grußkarten hinein, denn dann hätte man die nicht weiterverwenden können. Wenn sie was zu sagen hatte, legte sie zu dem Geldschein, den wir zu Weihnachten und zum Geburtstag bekamen, einen Zettel hinein, den sie beschrieb.

Karten sind bei uns eher selten, vielleicht, wenn es einen Gutschein gibt, aber Gutscheine sind nur erlaubt, wenn es konkret wird. Also nicht: „Lieber Papa, wir schenken dir eine E-Roller-Fahrt.“ So was gildet nur mit Termin und Ort. Auf jeden Fall blieb bei unserem selbst verschuldeten Aufreißinferno gar keine Zeit, um das Geschenkpapier in Ruhe von Klebestreifen zu befreien, um es nach dem Auspacken ordentlich falten und weglegen zu können – fürs nächste Jahr.

3. Der beste Moment des Schenkens geht verloren. Denn man möchte doch wissen, wie ein Geschenk bei der oder dem Beschenkten ankommt, möchte das gemeinsam erleben. Bei der wilden und irgendwie einsamen Aufreißerei verpasste man aber in der Regel genau diesen Moment, kramte später in den Papierhaufen herum und fragte vielleicht: „Hier schau, hast du dieses Dingsbums auch gesehen? Wie findest du das?“ Das ist aber nicht dasselbe. Dieser eine und besondere Moment des Beschenktwerdens ist dann lange schon verflogen.

So konnte es nicht weitergehen. Weihnachten ohne Geschenke war für uns aber nicht denkbar. Darum haben wir erst die Regel eingeführt, dass nur eine oder einer auspackt und alle anderen halten still und gucken zu. Blöd ist das, wenn das Geschenk gar nicht gut ankommt. Aber nun, das passiert, ist nicht schlimm. Später haben wir diese Regel erweitert: Jeder*r nur ein Geschenk. Ein Geschenk kaufen und eines bekommen und kosten darf es 20 Euro. Das ist prima und gerecht.

Wer wen beschenkt, entscheidet das geheime Los. Die Beschenkten müssen nach dem Auspacken raten, von wem das Geschenk kommt. Man muss also schon beim Einpacken aufpassen, sich nicht durch die eigene typische Verpackerei zu verraten. Und damit die Geschenkezeremonie nicht so schnell zu Ende ist, würfeln wir. Wer eine eins hat, darf auspacken. Wer scheiße würfelt, muss eben ewig warten.

Seitdem wir uns diese Geschenkebegrenzung ausgedacht haben, ist Weihnachten noch besser. Angefangen damit, dass wir vorher versuchen, uns zu treffen, um die Lose zu ziehen. Und, weil Regeln ja eher nerven, werden überzählige (oder zu teure) Geschenke nicht in den Kamin geworfen.