berliner szenen
: Diesmal stimmt das Timing

Ich bin eine notorische Zuspätkommerin. Feiertage und ihre Planung bilden dabei keine Ausnahme. Bereits am frühen Silvesterabend begegne ich im Nollendorfkiez meinem Doppelgänger: Beim Überqueren einer roten Ampel hänge ich einen Jungen ab, der im Gehen seine Zähne putzt.

Mein bester Freund hat mich während seines Urlaubs mit der Pflege seiner Blumen beauftragt. Heißt: Sein Bonsai hat seit zehn Tagen kein Wasser gesehen. Damit auch der Baum den Übergang ins neue Jahr schafft, komme ich im Raketengewitter meinen Pflichten nach. Ungewöhnlich, aber wahr – diesmal stimmt mein Timing: Der Ausblick aus der Wohnung reicht bis zum Funkturm.

Einmal alle virtuellen Silvestergrüße beantwortet und in Partyklamotten geschlüpft, trudle ich gegen zwei Uhr in einer Gay-Bar ein. Endlich ungestört tanzen! Kaum auf Touren gekommen, stellt sich ein junger Typ vor den Spiegel mir gegenüber. Er schaut mir in die Augen. Ungeniert tief. Ich erwidere seinen Blick und tanze lächelnd weiter. Im Kopf des Fremden rattert es. „Bist du mit deinem Freund da?“ Am ehesten noch bin ich ein fag hag. So jedenfalls die Reaktion, die ich – laut meinem Freund, der um die Ecke wohnt – bei der zu 99 Prozent männlichen Klientel in diesem Schuppen zu erwarten hätte.

Da, wo ich es am wenigsten erwartet habe, hat der junge Hüpfer mir bis in die Seele geguckt. Bevor seine Kumpels ihn zu einer anderen Bar mitreißen, sichert er sich meine Nummer. Und textet: UR UNHEIMLICH CUTE;)

Im Nu kommt der Typ wieder hereingeschneit. „Are you coming?“ No(w) I’m dancing / No end and no beginning …

Um weiterzuziehen, dafür bin ich zu spät angekommen. Um es mit meinem Silvester-Süßi zu tun, dafür wurde ich viel zu früh im vergangenen Jahrtausend geboren. Oder? Emmi K.