Geschichte segelt mit

Mit der „Münchner Freiheit“ entlang der istrischen Küste. Die Dschunke als Programm und Lebensphilosophie: Jetzt sucht das alte Segelschiff, das für Völkerverständigung, soziales Engagement und Jugendarbeit steht, einen neuen Kapitän

Mau Yee ist die etwas kryptische chinesische Übersetzung von Münchner Freiheit

von THOMAS PAMPUCH

Abends in Portoroz, dem betriebsamen Yachthafen Sloweniens. Wir sind auf dem Weg zu einem Segelschiff – einer echten chinesischen Dschunke, gebaut vor über 40 Jahren in Aberdeen bei Hongkong. Sie ist eine alternde Schönheit – und eine Legende. Zwischen den glatten weißen Yachten und Motorbooten, die sich in den Marinas Istriens herumtreiben, wirkt die „Mau Yee“ alias „Münchner Freiheit“ wie ein Farbtupfer in einem fast gleichgeschalteten Ambiente. Mit ihrem wohlgeformten gebräunten Holzbauch und den rot schillernden Dschunkensegeln sieht sie weitaus abenteuerlicher aus als die durchgestylten Motoryachten, deren angeberischste Versionen sich nicht einmal ihres Markennamens „Pershing“ schämen – und zur Strafe auch so aussehen. Die „Mau Yee“ dagegen verkörpert schon durch ihre Erscheinung eigenwilligen Charakter, eine ganz besondere Form des Segeltörns.

Eine Woche wird unsere Gruppe von neun gut abgehangenen Schwabingern mit Kapitän Hannes Schacht Istriens Küste entlang schippern. Dazu kommen zwei Schülerinnen, die vom Kapitän eingeladen worden sind. Sie dürfen gratis mitfahren. Betreutes Segeln? Erlebnispädagogik? Ja durchaus, genau das macht Hannes seit Jahren mit Kinder- und Jugendgruppen, Studenten, Surfern, Freundeskreisen jeden Alters – wer ihn und das Schiff mit den zwei Namen eben bucht.

Aber da ist noch etwas: „Mau Yee“ ist die etwas kryptische chinesische Übersetzung von Münchner Freiheit. So heißt ein Platz im Herzen des Münchner Stadtteils Schwabing. Den Namen trägt der Platz (der in der Nazizeit „Danziger Freiheit“ hieß) seit 1946: Zum Gedenken an die „Freiheitsaktion Bayern“ (FAB) und andere „zum Widerstand gegen die Naziherrschaft entschlossene Bürger“, die „in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs sinnloses Blutvergießen verhindert haben“. So steht es auf einer Tafel an der Münchner Freiheit, die allerdings von fast allen Passanten seit Jahren übersehen wird.

Nicht zu übersehen ist dagegen die „Mau Yee“ und ihr ausgesprochen liebenswerter Kapitän, der mit 78 fast doppelt so alt ist wie die Dschunke. Schiff wie Schiffsführer sind gewissermaßen die bunten Hunde Istriens. Hunderte von Törns hat der alte Schwabinger mit der sanften Stimme seit 1982 mit der Dschunke gemacht. In dem Jahr hatte er sie ihrem Erbauer Dr. Rupprecht Gerngross abgekauft. Gerngross, ehemaliger Hauptmann und Chef einer „Dolmetscherkompanie“ der Wehrmacht, war der Anführer der Freiheitsaktion Bayern. Da war es nur natürlich, dass er, der die ersten zehn Jahre seines Lebens in Schanghai verbracht hat, sein 1963 in China gebautes Schiff „Mau Yee – Münchner Freiheit“ nannte und dann mit diesem Schiff zwanzig Jahre lang stolz durch die Adria kreuzte. Eben dies macht nun auch sein Nachfolger – aber eben mit zahlenden Gästen. Hannes Schacht hat in den 60er- und 70er-Jahren die Schwabinger Künstlerkneipe „Atelier Jean“ betrieben und sich daneben durch das Verfertigen von Gips- und Totenmasken einen Namen gemacht. In der „Mau Yee“ fand er sein großes Altersprojekt: Völkerverständigung, soziales Engagement, Jugendarbeit, und das alles an Bord eines Schiffes mit einer ungewöhnlich spannenden, besonderen Geschichte.

Die Dschunke als Programm, Inspiration, Lebensphilosophie und Einnahmequelle mit Anspruch: Im jugoslawischen Bürgerkrieg hat die „Mau Yee“ immer wieder Hilfsgüter transportiert und Friedensaktionen durchgeführt.

„Geht’s euch guhut?“ lautet das morgendliche Kapitänsgrußwort. Und uns geht’s guhut. Hannes ist der ruhende Pol auf dem Schiff. Die meiste Zeit sitzt er mit einer brennenden Zigarette im Mundwinkel am Steuer, während draußen die schöne istrische Küste vorbeizieht: Bei gutem Wetter darf man auch mal die alten roten Segel setzen oder man lernt etwas über Spieren, Wanten, Palstek und richtiges „Belegen“. Und dass man auch auf einer Dschunke bei der Halse höllisch aufpassen muss. Doch meistens geht es gemütlich zu.

Den Admiral’s Cup wird die „Mau Yee“ nicht gewinnen. Dschunken fahren vor dem Wind. Steht der falsch, wirft Hannes den alten MAN-Motor an und wir tuckern. Auf dem großen Vordeck oder hinten im „roten Salon“ am großen Esstisch unter der Persenning ist genügend Platz, um sich zu sonnen, zu diskutieren, das Abendessen vorzubereiten oder zu lesen. Am besten die einschlägige Literatur.

Zwei Bücher sind bereits über die „Mau Yee“ geschrieben worden. Im dem „Tatsachenroman“ von Felix Heidenberger wird die Geschichte von Gerngross, Hannes und der „Mau Yee“ brav nacherzählt, was – geadelt durch den Genius Loci – zu einem reizvollen Leseerlebnis an Bord werden kann. Das andere Buch, „Der Geist aus der Dschunke“ von der Münchner Journalistin Hella Schlumberger, ist eine nicht ganz nachzuvollziehende Abrechnung mit Hannes Schacht, den istrischen Reiseführern und vor allem mit Rupprecht Gerngross. Zumindest zum Diskutieren regt das Buch an.

Letzte Landung in Piran, dem malerischen slowenischen Hafenstädtchen. Das Schöne an Bootsreisen ist, dass man immer an der Schokoladenseite einer Stadt ankommt. Doppelt schön, wenn man dann auch noch von solch einem Schokoladenschiff steigt. Denn es gibt wohl kaum eine vergnüglichere Art, die wunderbare Adriaküste kennen zu lernen als mit der „Mau Yee“. Und dabei wieder ein bisschen mehr über die Freiheit zu lernen. Insbesondere natürlich über die Münchner Freiheit.

Hannes Schacht sucht einen Nachfolger. Das Schiff müsste auch generalüberholt werden. Ein paar Sponsoren wären nicht schlecht. Und natürlich weiterhin Gäste.Die „Mau Yee“ kann gebucht werden über www.mau-yee.de oder Tel. (0 89) 34 60 65Literatur: Felix Heidenberger, „Mau Yee – Münchner Freiheit“, Pro Business 2004, 15,90 €ĽHella Schlumberger, „Der Geist aus der Dschunke“, Buchendorfer 2003, 6,90 €