„Der Verein wird sich wie eine Firma aufstellen müssen“

Seit 1989 ist Bernd Fiedler Vorsitzender des Amateurklubs SFC Stern 1900. Mit der Berliner Fußball-Interessengemeinschaft (BFIG) fordert er Reformen im Amateurfußball. Ein Gespräch über Gewalt, Ehrenamt und die Zukunft des Konzepts Verein

Foto: privat

Bernd Fiedler, geb. 1955, ist seit 1989 Vorsitzender des Berliner Amateurklubs SFC Stern 1900. Von 1989 bis 2009 war er beim DFB tätig. Fiedler ist Mitbegründer der BFIG, die sich für Belange der Amateurklubs einsetzt.

Interview Alina Schwermer

taz: Herr Fiedler, Gewalt gegen SchiedsrichterInnen, Rassismus, eine sinkende Zahl von EhrenamtlerInnen, dafür mehr Helikop­tereltern: Macht es eigentlich noch Spaß, Vorsitzender eines Fußball-Amateurvereins zu sein?

Bernd Fiedler: Manchmal macht es keinen Spaß. Diese ganzen Gewaltthemen haben wir schon seit zwanzig Jahren. Das Sportgericht hätte die Möglichkeit, hart durchzugreifen, aber das macht es nicht. Deshalb sind wir da, wo wir heute sind. Wenn die Gewaltspirale so weitergeht, möchte ich nicht mehr auf dem Fußballplatz sein.

Gibt es denn so eine Spirale tatsächlich? Bei Untersuchungen aus Baden-Württemberg im Abstand von zehn Jahren haben SchiedsrichterInnen etwa gleich viele Gewaltvorkommnisse wahrgenommen.

Der Schiedsrichter beim Fall Al-Dersim­spor in Berlin …

… der von einem Spieler geschlagen wurde …

… hat die Sache auch ganz niedrig gehängt. Da, wo es vielleicht notwendig wäre, mal laut zu werden, halten die Schiedsrichter den Ball flach. Ich habe in fünfzig Jahren noch nie so viel Gewalt im Fußball erlebt.

Woran liegt das?

Das Gewaltpotenzial steckt in der Gesellschaft. Kürzlich hatten wir einen Fall bei einem Spiel gegen den jüdischen Verein Makkabi. Von der Tribüne rannte plötzlich einer auf den Platz, hat den Torschützen beschimpft, mit Morddrohungen, Loch in den Kopf schießen, den stech’ ich ab, völlig durchgedreht. Diese Verrückten nehmen zu. Ich habe die Polizei gerufen, die sagte, er stand unter Drogen.

Hat das nicht auch systemische Gründe? Es fehlen Ehrenamtliche, SchiedsrichterInnen, JugendtrainerInnen, die die Kinder angemessen betreuen könnten.

Die Vereine machen schon viel fürs Gemeinwohl. In vielen Fällen müsste der Trainer auch Sozialarbeiter, Pädagoge sein, das erwartet die Politik von uns Vereinsvertretern. Wir sollen Supermänner sein, unentgeltlich natürlich. Ich bin dafür, dass der Senat jedem Verein zwei Sozialarbeiter zur Verfügung stellt. Das wäre eine echte Unterstützung.

Es gibt in Deutschland knapp 25.000 Fußball-Amateurvereine, das würde bundesweit etwa 50.000 SozialarbeiterInnen bedeuten. Wo sollen die denn herkommen?

In Berlin haben wir 210 Vereine. Für den Männerbereich brauche ich keine Sozialarbeiter, die brauche ich im Jugendbereich. Wir reden also für Berlin von 400 Leuten maximal. In dieser Republik ist für alles Geld da, aber nicht für uns Vereine. Wir sollen alles ehrenamtlich machen.

Ist das Ehrenamt-Modell dauerhaft haltbar?

Ich glaube nicht. Der Verein wird sich wie eine Firma aufstellen müssen. Es wird immer weniger Leute geben, die ehrenamtlich arbeiten. Warum soll man sich die Probleme mit Kindern und Eltern auch antun? Die Organisation wird schwieriger, die Bürokratie nimmt zu, das geht nur im Hauptamt. Und das muss über Beitragserhöhungen finanziert werden.

Würde das den Fußballverein nicht ausschließender machen? Es gibt jetzt schon Vereine, die 25 oder 30 Euro Mitgliedsbeitrag im Monat nehmen.

Das Gros der Klubs nimmt eher 15 bis 20 Euro. Der Weg läuft aber nur über Beitragserhöhung. Ich habe vor zwei Jahren beim Landessportbund beantragt, dass es Zuschüsse für Jugendleiter gibt, zumindest 200 oder 300 Euro. Aber es tut sich nichts. Die Ideen werden ignoriert, versickern.

Höhere Beiträge machen den Fußball aber doch sozial exklusiver.

Wir haben zwei Fonds im Verein: für Kinder, die nicht mit verreisen können, und für Kinder, die gar keinen Beitrag bezahlen können. Und letztendlich muss der Verein sich auch selbst finanzieren. Junge Leute wollen heute ein Zubrot haben statt Ehrenamt.

Kommen junge Leute denn? Oder haben Sie ein grundsätzliches Nachwuchsproblem?

Wenn man ihnen einen kleinen Job anbietet, bekommt man schon zumindest vorübergehend Studenten und FSJler.

Aber das langfristige Engagement für den Verein gibt es nicht mehr …

Nein. Wir haben hier drei Haudegen, die seit zwanzig Jahren dabei sind. Aber wir sehen keine Leute, die das übernehmen würden. Der Verein wird als Dienstleister gesehen.

Daran ist ja auch der Fußball selbst schuld. Er macht schon Teenager zu Millionären, im Amateurbereich werden Ablösesummen bezahlt.

Natürlich wird schon auch im unteren Bereich nach Materiellem gefragt. Aber dafür muss man nicht den Breitensport verteufeln. In der A- und B-Jugend bei den Großklubs werden die Jugendlichen mit Geld versaut, das ist das Problem.

Sie haben die AG Zukunft mit ins Leben gerufen, um Probleme anzugehen …

Sie ist auf Antrag unserer Interessengemeinschaft hin installiert worden. Ich hoffe, dass der Berliner Verband seinen Präsidenten oder Geschäftsführer in diese Arbeitsgruppe bringt. Ich habe schon erlebt, dass solche Gruppen zerredet wurden. Uns geht es um Stärkung des Hauptamtes, Frauenquote, Digitalisierung, Amtszeitbegrenzung der Präsidenten.

Auf dem letzten Verbandstag soll Ihre Berliner Fußball-Interessengemeinschaft (BFIG) an die 30 Anträge gestellt haben.

Wenn das Präsidium vorher nicht mit uns spricht, muss es natürlich damit rechnen, dass wir Anträge stellen. Die Mitglieder im Präsidium kommen selbst offenbar nicht auf die Idee, den Verband zu modernisieren. Sie haben 1,5 Millionen Euro zur Verfügung, aber es fehlt der unternehmerische Gedanke. Das sind alles Verwaltungsleute, die sind nicht innovativ. Und wir werden als große Kritiker dargestellt, nur, weil wir Ideen haben. Im Sport sagt sich keiner die Meinung. Das ist dieser Gehorsam: Ein Schiedsrichter pfeift, da gibt es nichts zu diskutieren.

Die BFIG kritisiert immer wieder explizit den Verband, etwa wegen fehlender Unterstützung für die Amateure. Sie fordern unter anderem mehr Professionalisierung, gerechtere Verteilung der Gelder und eine Frauenquote im BFV. Nach außen hat man von Ihnen zuletzt aber wenig gehört. Konnten Sie sich zu wenig positionieren?

Eigentlich haben wir die BFIG gar nicht für die Außendarstellung gegründet. Es ist ein geschlossener Kreis. Wir sind mittlerweile 610 Leute, aber wir wollen nicht wie Politiker auftreten. Wir wollen keinen Gegenverband gründen.

Warum eigentlich nicht? In Leipzig passiert gerade genau das.

Ich war 20 Jahre beim DFB, ich kenne die Strukturen. Wenn wir merken, dass die Vereinsvertreter entweder überfordert sind oder keine Lust auf Themen haben, fragen wir uns: Warum sollen wir uns da aufdrängen? Vielleicht wäre ein Schritt wie in Leipzig konsequent. Aber ich hätte keine Kraft, einen neuen Verband zu gründen. Und die Vereine sind auch nicht bereit für eine Revolte.

Woran liegt das?

Die Leute stehen einfach nicht dahinter. Die erkennen die Probleme gar nicht. Viele sind im Ehrenamt schon mit ihrem Verein überfordert. Aber die neuen Regionalkonferenzen scheinen mir der richtige Weg, das ist mehr Demokratie.

Achteinhalb Stunden Verbandstag? Nicht überraschend, dass junge Leute daran kaum Interesse haben, oder?

Ja, da gebe ich Ihnen recht. Ein Verbandstag, der länger als vier Stunden dauert, ist Mist.

Sie haben eben kurz die Frauenquote erwähnt, die Sie fürs Präsidium beantragt haben, 30 Prozent. Ist der Berliner Verband bereit dafür? Tanja Walther-Ahrens, 2015 erste Frau im Präsidium, hat sich wieder zurückgezogen, weil sie sich als Feigenblatt fühlte.

Ich war überrascht, wie schnell sie aufgegeben hat, aber nicht erstaunt über die Gründe. Männer sind dann so. Wir hatten hier zehn Jahre lang eine Frau als Schatzmeisterin, die gehörte aber zu uns Männern dazu. Die heutigen Frauen sind dynamischer, haben mehr Erfolg im Beruf, sind fordernder. Und auf die muss man in so einer Gruppe natürlich auch mehr eingehen. Ich glaube, damit haben einige Männer ein Problem.

Haben Sie selbst Frauen im Vereinsvorstand?

Nein. Wir hätten gern eine, aber bisher hat sich keine gemeldet. Wir finden wenige junge Leute, die noch Ämter hier machen wollen.

Kommt das nicht auch daher, weil alte Herren wie Sie seit 30 Jahren auf ihren Posten sitzen?

Könnte durchaus sein. Dass Leute sagen: Solange der lebt, haben wir keine Chance. Es wäre aber ja schön, wenn mal jemand käme und Interesse hätte. Man verliert dafür, wenn man so lange dabei ist, aber vielleicht auch ein bisschen den Blick, wenn man immer im Hamsterrad läuft.