die taz vor 15 jahren über lafontaines retourkurs in der asylpolitik
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Man hat ja immer ein bißchen mehr Verständnis für Oskar Lafontaine als für andere Politiker. Er ist nicht so deutsch wie Kohl, nicht so dröge wie Vogel. Der Mann hat ein Händchen für gut inszenierte Streits und ein Gespür für Volkes Gemütslage. Die Mischung stimmte. Und jetzt? Seine Kehrtwendung in der Asylpolitik ist das Rettungsmanöver eines ehemaligen shooting stars kurz vor dem Absturz.

Lafontaines Vorschlag, bestimmte Länder per Rechtsverordnung von der Liste potentieller Verfolgerstaaten zu streichen, findet seine Entsprechung in jenem Ansbacher Asylrichter, der sein Ablehnungsurteil schon geschrieben hatte, bevor der Flüchtling seine Gründe vor Gericht darlegen konnte. Nur zur Erinnerung: Derselbe Lafontaine hat sich bis vor kurzem von konservativen Kreisen distanziert, die gezielt „die Abneigung gegen Ausländer und Asylbewerber“ instrumentalisieren. Diese Distanz hat er offensichtlich aufgegeben.

Der Beifall aus der bayerischen Staatskanzlei kam prompt. Stimmenfang mit Stimmungsmache (gegen Flüchtlinge) – das hat 1986 schon Johannes Rau versucht. Wahlkampfhilfe leistete seinerzeit (auf Drängen der SPD) die SED: der Flughafen Schönefeld, das Ostberliner „Schlupfloch“ für Flüchtlinge, wurde dichtgemacht. Bundeskanzler wurde ein anderer.

Andrea Böhm, taz, 6. 8. 1990