Müssen wieder wer werden

Wenn heute Abend in der Allianz-Arena das Spiel Bayern München gegen Borussia Mönchengladbach angepfiffen wird, beginnt nicht nur wieder die Bundesliga, sondern auch der WM-Countdown und das Projekt Deutschlandrettung

Früher hätte man gesagt: Jetzt geht’s endlich wieder los. Bundesliga! Bayern gegen Mönchengladbach! Und dann noch live in der ARD, neunzig Minuten Bundesligafußball, wenn da nicht Kinderaugen leuchten und erwachsene Männer und Frauen wieder zu Kindern werden! Doch heutzutage ist man gelassener geworden. „Ach, neunzig Minuten Fußball, geht doch auch nur um drei Punkte“, zumal der Fußball schon lange keine Sommerpausen mehr kennt.

So hatten wir schon wunderbare Anlässe, um uns zu entleeren und den grauen Alltag einen grauen sein zu lassen: Mainz in Armenien (Uefa-Pokal-Qualifikation), Dortmund gegen Olmütz (UI-Cup), Stuttgart gegen Siena (Freundschaftsspiel auf einem Bolzplatz in Österreich) und natürlich den Liga-Pokal, und das alles live in ARD, ZDF, DSF.

Was aber jetzt wirklich verschärft losgeht: der Countdown für die WM. Nicht von ungefähr eröffnen Bayern München und Gladbach die Saison, ist ihre Begegnung doch das erste wichtige Spiel in der neugebauten Münchner Allianz-Arena, dem Ort des WM-Eröffnungsspiels. Das aber heißt, dass jetzt auch der Spaß ein Ende hat. Ab jetzt wird’s ernst, ab jetzt muss Deutschland gerettet werden.

Das Projekt Deutschlandrettung begann ja bekanntlich vor einem Jahr, als Jürgen Klinsmann die Nationalmannschaft zu trainieren begann und wieder ein frisches Fußballlüftchen wehte, wenn auch begleitet von einem Fußballvokabular mit neoliberalen Zwischentönen. Plötzlich atmete Deutschland wieder freier, plötzlich waren alle Deutschlandprobleme nicht mehr so überwältigend und lähmend. Doch fragt sich, ob der Fußball diese Erwartungen aushält, zumal das Land spätestens zur WM 2006 merken wird, dass die vorgezogene Neuwahl alles andere als einen Aufbruch bedeutet und Schwarz-Gelb höchstens für einen Sturm im Wasserglas gesorgt hat: Deutschland muss dann Weltmeister werden, sonst heißt es wieder „Land unter“. Und es fragt sich, ob der Fußball es wirklich verkraftet, von der einst schönsten Nebensache der Welt zu einer der brutalsten Hauptsachen der Welt geworden zu sein.

Die Deutschlandrettung ist da bislang nur der vorläufige Höhepunkt: Dass immer wieder gut „gearbeitet“ worden ist (oder werden muss), kennt man aus jedem Fußballerinterview, dass es immer um die „Existenz“ geht, ist jedem „Sportschau“-Zuschauer eine geläufige Formel: um die Existenz des Vereins, um die Existenz einer Region, um die Existenz einzelner Fußballer, um die Existenz von Vereinsangestellten. Karl-Heinz Rummenige wiederum hat gerade ausgerechnet, dass die Bundesliga mit ihrer Auslandsvermarktung nur 11 Millionen Euro verdient habe, die englische Premier League dagegen 160 Millionen.

Dass die Bundesliga-Rechte teurer werden, wenn sie nach 2006 neu verhandelt werden, versteht sich von selbst, und auch, dass dann endgültig Schluss sein wird mit dem frei empfangbaren Fußball in ARD und ZDF. Nur gut, dass man sich da noch an so was Profanem wie der Bundesligatabelle festhalten kann: Jeden Montag auf den Sportseiten, jeden Montag zumindest noch eine Wahrheit, die nur mit Fußball zu tun hat.

GERRIT BARTELS