Die Achse des Knarz von Arno Raffeiner
: Die Genese

Begriffe sind ja so vergänglich. Ende der Neunzigerjahre überschwemmte etwa ein Subgenre mit der Bezeichnung Sägezahn-Techno die Dancefloors und wurde ebenso schnell wieder durch den Notausgang hinausgespült. Ein seltsamer Spuk, mehr nicht. Wesentlich dauerhafter scheinen die Veränderungen und die zugehörige begriffliche Mode zu wirken, die das Kölner Techno-Label Areal mit dem überschnappenden Drauflosbratzen seiner Tracks vor zwei, drei Jahren anschob. Seither ist alles, was irgendwie verzerrt, krass und krachig rüberkommt, Knarz.

Das Wunderbare – und anhand der Labelcompilation „2 Rabimmel 2 Rabammel 2 Rabum 2 Bum Bum“ bestens Nachvollziehbare – an Areal ist, dass das Knarz-Paradigma nie gänzlich ausformuliert und festgeschrieben wurde. Von der Langeweile, die sich bei einem breitgetretenen und immer wieder neu durchgekauten Trademark-Sound irgendwann zwangsläufig einstellt, ist hier nichts zu merken. Die KünstlerInnen des Labels konnten sich trotz unverkennbarer Handschrift stets eine gewisse Vielfältigkeit bewahren, jede neue Areal-Platte lässt zum richtigen Zeitpunkt das Überraschungsmoment knallen. Diese Tracksammlung schafft es, Knarz in einer Bandbreite von Rotkäppchen-House-Sounds über Indie-Sensibilität bis hin zu Industrialanleihen auszuleuchten. Die zwölf Stücke wirken ungemein körperlich, widerborstig, ja antifunktional – und gehen am Ende doch im Sinne der Partygesetze auf.

V. A.: „2 Rabimmel 2 Rabammel 2 Rabumm 2 Bum Bum“ (Areal/Kompakt)

Der Status quo

So weit musste es ja kommen. Die neue Ruppigkeit, die uns in den Medien ebenso wie auf dem Arbeitsmarkt und nicht zuletzt im Club pausenlos um die Ohren gehauen wird, findet zueinander. „Knartz IV“ nennen die Hamburger Mense Reents und Jimi Siebels alias Egoexpress die erste Single-Auskopplung aus ihrem dritten Album und perfektionieren damit den Sound von „Techno im Zeitalter von Hartz IV“, wie die beiden in Interviews nicht zu Unrecht behaupten. Nie zuvor klang das Humor-House-Universum von Egoexpress so entschlackt und begradigt wie auf „Hot Wire My Heart“, und das ist, neben Egoexpress’ grandios aufgegangener Infiltrierungstaktik der Technoszene, vor allem der aktuellen Definitionsmacht von Knarz zuzuschreiben. Die Uneindeutigkeit und Interpretierbarkeit des Begriffs wird hier egal, denn das Album füllt ihn aus bis in die letzte Faser.

„Knartz IV“ bringt den Status quo von Techno im Knarzzeitalter kompromisslos auf den Punkt. Wenn Egoexpress zu Beginn ihrer Karriere, ausgehend von ihrem Hamburger Band-Background, noch damit kokettierten, elektronische Musik zu machen, ohne zu wissen, wie das ginge, so wird nun ihr Bewusstsein um die Strategien, Strukturen und Effekte von Tanzmusik passgenau in musikalische Trigger umgesetzt. Es verwundert nicht, dass Reents und Siebels als gelernte Rocker es verstehen, Knarz in seiner Qualität als digitale Version von Rock so simpel, trocken und wirkungsvoll wie möglich umzusetzen.

Egoexpress „Hot Wire My Heart“ (Ladomat 2000/Mute/EMI)

Die Kindeskinder

Bei flüchtigem Hinhören mag es etwas einseitig, wenn nicht gar sinnlos erscheinen, „Eat Books“, das neue Tiefschwarz-Album, über den Knarz-Kamm scheren zu wollen. Doch ohne dieses Soundparadigma wäre es in dieser Form gar nicht möglich, da genügt allein der Verweis auf einen fett furzenden Club-Track wie „Issst“. Und nicht zuletzt sind die Brüder Ali und Basti Schwarz in erster Linie DJs. Als solche dürfen sie als Trendscouts und Multiplikatoren ersten Ranges gelten, weshalb es ihnen obliegt, mit ihrem zweiten Künstleralbum das Crossoverpotenzial von Knarz auszuschlachten, bis tief hinein in die Charts.

Die dominierende Klangsprache des Knarz greifen Tiefschwarz von einem ganz anderen Background, nämlich von Deep House, her kommend auf und schließen das Harsche mit den groovigen Aspekten von Acid, Chicago und selbst noch Discofunk kurz. So stempeln sie speziell mit ihrer endlosen Reihe an Remixen einen House-Knarz-Funk-Hybriden zum Jetztsound, der noch im kleinsten Provinzclub runtergenudelt wird, die schickste Großraum-Crowd rockt und sich ebenso gut in der derzeit sowieso wieder sehr tanzbewussten Indiedisco macht. Dafür sorgt auf „Eat Books“ auch die Zusammenarbeit mit Matt Safer von The Rapture oder den britischen Elektrorockern Chikinki. So poppig und brav sich das Dancesammelsurium von Tiefschwarz auf Albumlänge auch präsentiert, wenn die Anlage im Club nur laut genug aufgerissen ist, knarzt es, dass die Wände wackeln.

Tiefschwarz: „Eat Books“ (Fine/Universal)