Der doppelte Mediensprung

Kann man mit Partys Literatur nicht nur publik machen, sondern gar finanzieren? Die neue Literaturzeitschrift [SIC] versucht es. Feiern für Gestaltungsfreiheit

Mit schlichten Lesungen lässt sich heute kein Publikum mehr begeistern. Die Inszenierung ist längst genauso wichtig wie der Text. Also haben Daniel Ketteler und Christoph Wenzel, zwei studierte Germanisten aus Aachen, die Lesungen organisiert, auf die sie selbst gern gehen würden. Weil es dort gute Texte und die richtige Show dazu gibt – abseits der oft schenkelklopferischen Poetry-Slam-Events. Bei ihnen wird Literatur mit Musik und selbst gemachten Visuals unterlegt. Und danach, auch das zählt zum Programm, wird gefeiert.

Sicher, solcherlei Konzepte gehören mittlerweile fast schon in den Mainstream des Literaturbetriebs, vor allem junge Verlage arbeiten mit ihnen. Beim Münchner Kultverlag „blumenbar“ beispielsweise ist die Party fester Bestandteil des Gründungsmythos: Zuerst gab es Tanz-Events, dann ein Manuskript und plötzlich waren aus Party-Organisatoren Verleger geworden.

Aus den Literaturpartys der Aachener Germanisten ist zwar noch kein Verleger hervorgegangen, aber immerhin eine Zeitschrift: [SIC]. Als Koproduktion zwischen Aachen und Berlin ist [SIC] gerade in der ersten Ausgabe erschienen und wurde in ein paar großen deutsche Städten in den vergangenen Monaten mit einer Release-Party beworben. Von ihren Vorstellungen haben die Herausgeber neben bekannten Autoren wie Joachim Sartorius und Georg Klein weitere etablierte Schreiber überzeugen können.

Zusammen mit Lyrik und Prosa von unbekannten Dichtern kommt so in der ersten Nummer von [SIC] eine heterogene Mischung zustande: Die nach Brecht klingenden Gedichte von Jan K. Woike stehen neben der romantisch eingefärbten Erinnerungsprosa von Simon Urban, direkt daneben kühl Sezierendes von Daniel Zahno und Silke Andrea Schuemmer.

Die Unterschiedlichkeiten sind beabsichtigt. „Wir sind nicht angetreten, um eine literarische Schule zu gründen“, sagt Wenzel. „Wenn es so etwas wie ein Programm von [SIC] gibt, dann ist es einfach das: der Literatur, die wir gut finden, ein Forum zu bieten. Und das in einem optischen Rahmen, in dem wir diese Literatur gern sehen möchten.“

Im aufwändigen Design der Zeitschrift setzt sich also das Prinzip der medial aufbereiteten Lesung fort. Druckgrafiken in hellem Blau und Bronzetönen sind zwischen Lyrik, Prosa und Essay geschoben, die manchmal mit den Texten korrespondieren, manchmal aber auch über einige Seiten hinweg für sich stehen. Eingefasst ist die Zeitschrift in groben Karton, auf dem sich aus kantigen, übereinander geblendeten Figuren ihr markiger Name zusammenfügt.

[SIC] ist der beste Beweis für den doppelten Mediensprung, den der Literaturbetrieb in den letzten Jahren absolviert hat. Junge Autoren und Verleger verstehen sich nicht mehr nur als Verwalter eines hohen Kulturguts. Sie haben ein Gespür dafür entwickelt, wie wichtig eine überzeugende Inszenierung ist und wie gut es der Literatur tut, wenn sie sich in einem stimmigen Gesamtkonzept bewegen darf. Und es kommt noch etwas Entscheidendes hinzu: Die Laptop- und Netzkultur macht es möglich, dass auch kleine Unternehmungen über die technischen Mittel verfügen, um ein neues Produkt professionell zu entwerfen.

Bis aber wirklich in der oberen Liga mitgespielt wird, in der dann auch ganz andere Fördermittel fließen, muss sich [SIC] zunächst mal selbst tragen. Das versuchen die Herausgeber über das Schalten von Werbung. Vor allem aber hoffen sie auf eins: die Einnahmen aus der nächsten Party. WIEBKE POROMBKA

[SIC]: Auszüge aus der aktuellen Ausgabe im Internet; Bestellung für 5 Euro ebenda: www.siconline.de