Verkehrte Welt im heilen Münsterländken

taz geht wählen – die Serie zur Bundestagswahl am 18. September. Die 64 nordrhein-westfälischen Direktwahlkreise im Porträt. Wer kämpft um das Mandat? Wer sind die Außenseiter? Wer gewinnt? Heute: Warendorf

Warendorf?Auf den ersten Blick ist im Kreis Warendorf alles klar. Münsterland pur mit wenigen Industriestädten. Ein Heimspiel für die Konservativen – Direktmandate sind sicherer als die Millionen von Gönner Spikker für den Fußballklub LR Ahlen. Doch der 278.500 Einwohner zählende Wahlkreis 131 hat es in sich. 1947 verabschiedete die CDU hier ihr Ahlener Programm, das mit Punkten wie der Verstaatlichung von Schlüsselindustrien beinahe aus der Feder des kommunistischen Stadtkindes Max Reimann stammen könnte. Auch heute herrschen im Kreis Warendorf verkehrte Welten. Ein Öko-Konservativer tritt gegen einen Industrielobby-Sozi an.Wer verteidigt den Wahlkreis?Peter Paziorek, 57, verheiratet, zwei Kinder und – wie so viele Abgeordnete – Jurist. Scheinbar der Prototyp eines Christdemokraten. Doch der gebürtige Gelsenkirchener nimmt das „C“ im Parteikürzel ernst. Als umweltpolitischer Fraktionssprecher kämpft er für den „Erhalt der Schöpfung“ und plädiert für einen Umbau der Ökosteuer zu einer „schadstoffbezogenen Abgabe“. Das Geld soll nicht in die Rentenkasse, sondern in Umweltprojekte fließen. Mit solchen Ideen schafft man sich in der CDU nicht nur Freunde. Trotzdem sitzt Paziorek bereits seit 1990 im Bundestag und ist mittlerweile stellvertretender NRW-Landesvorsitzender. Beste Voraussetzungen für einen sicheren Listenplatz, doch er setzt alles auf das Direktmandat. In Warendorf nicht unbedingt der verwegenste Poker.Wer will den Wahlkreis?Der Geschäftsführer von „Schultz Projekt Consult“ – Reinhardt Schultz. Nebenberuflich SPD-Bundestagsabgeordneter. Die Unternehmensberatung hat zwar keine Homepage, aber dafür fette Kunden – RWE und Vattenfall. Da sich Büro und Wohnung im gleichen Everswinkler Haus befinden, vermischt sich schnell Geschäftliches und Politisches. Zum Beispiel das Positionspapier zur Energiepolitik für die letzten Koalitionsverhandlungen: auf Punkt und Komma stammte es aus der Feder der RWE-Konzernkommunikation. Als die Sache aufflog, sprach der zum rechten Seeheimer Kreis zählende SPDler schnell von einer „Hilfestellung“. Auch sonst lässt sich der 55-Jährige gerne schmieren – die Brötchen natürlich. Bei einer Einladung zum Beratungsfrühstück in seinem Bundestagsbüro heißt es wörtlich: „Die Hamburger Electrizitätswerke erlauben sich, die Kosten des Frühstücks zu übernehmen“. Die Warendorfer Genossen stehen diesem Stil zunehmend kritisch gegenüber. Ohne Gegenkandidaten sägte ihn die Kreistagsfraktion als Vorsitzenden ab und trotz Amtsbonus reichte es bei der Wahl der SPD-Kandidatur nur zu einer knappen Mehrheit. Die großen Außenseiter?Die Kandidaten der kleinen Parteien dürfen sich nur wenig Hoffnung machen. Weder der Grüne Gerhard Nergert (51), der zum linken Parteiflügel zählt, noch der FDP-Mann Karl-Heinz Wonsak (41) sind über die Landesliste abgesichert. Der liberale IBM-Manager tritt in Möllemanns Fußstapfen und wird es schwer haben, das satte Zweitstimmen-Ergebnis von 2002 mit 10,6 Prozent zu wiederholen. Bleibt nur noch die Ahlener Linkspartei. Letzte Woche ließ sich Walter Rottstaedt (49) als Direktkandidat ablichten. Den feinen Anzug hatte sich das WASG-Mitglied vorher bei einem Ahlener Fachgeschäft zur Anprobe ausgeliehen. Damit hat der private Jobvermittler ordentlich Arbeit geschaffen – allerdings für die Rechtsanwälte.Die taz-Prognose?Paziorek verlängert die Warendorfer CDU-Serie um einen weiteren Sieg. Schröders alter Juso-Kollege Reinhardt Schultz zieht ebenfalls mit einem sicheren 21. Landeslistenplatz in den Bundestag ein. Rottstaedt muss sich ein anderen Anzug-Dealer suchen.

RALF GÖTZE