„Zu häufig Schwächen“

Die WM-Bilanz des Deutschen Schwimm-Verbandes fällt gemischt aus. Vor allem die Beckenschwimmer blieben hinter den Erwartungen zurück. Nun will Sportdirektor Beckmann auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2008 die Schlagzahl erhöhen

AUS MONTREAL JÜRGEN ROOS

Es war ein historischer Tag in Montreal. Denn Grant Hackett, der Australier, gewann die 1.500 Meter Freistil und ist damit der erste Mensch, der jemals bei vier aufeinander folgenden Schwimm-Weltmeisterschaften die gleiche Strecke gewonnen hat. Mit seinem dritten Einzelgold wurde Hackett außerdem zum Superstar dieser Titelkämpfe in Kanada. Auch für Thomas Rupprath hatte der letzte Tag dieser WM etwas Historisches: Es war die erste internationale Meisterschaft seit 1996, bei der der Hannoveraner keine einzige Medaille gewonnen hat. Als Titelverteidiger über 50 Meter Rücken ins Finale gegangen, blieb dem 28-Jährigen am Ende nur ein enttäuschender sechster Platz.

Schon vor einigen Tagen hatte sich Rupprath ausdrücklich bei seinen Fans entschuldigt. „Ich bin leider nicht in der Verfassung, in der ich gerne sein würde“, sagte er. Eine Erklärung für seine Formschwäche hatte der Mann, der in seiner Karriere 40 internationale Medaillen gewonnen und acht Weltrekorde aufgestellt hatte, nicht. „Bis 25 Meter bin ich schnell, aber dann verlässt mich die Kraft“, sagte er – und verpasste mit der Lagenstaffel als Vierter auch die letzte mögliche Medaille. Der Abschlusstag in Montreal war ein historischer. Aber er war auch ganz schön ernüchternd für das Team des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV).

Es war der Schlusspunkt einer WM, die aus DSV-Sicht keineswegs optimal gelaufen ist. Erfolg oder Misserfolg ist freilich nicht nur an der Medaillenbilanz festzumachen, da blieb Montreal (1 mal Gold/2 Silber/3 Bronze) deutlich hinter Barcelona 2003 (5/1/2) und Fukuoka 2001 (3/6/6) zurück – bei diesen beiden Titelkämpfen hatte die zurzeit pausierende Hannah Stockbauer (Erlangen) allein fünf WM-Titel geholt. „Einige Dinge sind nicht gut gelaufen“, gab Sportdirektor Ralf Beckmann zu. Zunächst hatte das Hickhack um das umstrittene Trainingslager in Ottawa in der Suspendierung von Stev Theloke gegipfelt, noch ehe der erste Schwimmer vom Block gesprungen war. Der Chemnitzer hatte Beckmann in einem Interview dermaßen angegangen, dass der Sportdirektor keine andere Wahl hatte. Doch die Verunsicherung im DSV-Team ist durch diese harte Maßnahme nicht verschwunden, ganz im Gegenteil: Als die ersten Schwimmer hinter ihren besten Zeiten zurückgeblieben waren und das „weiche Wasser“ in Montrealer Freiluftbecken als Grund für ihr Scheitern nannten, musste Beckmann erneut deutlich werden. „Ein ziemlich weiches Argument“, sagte er und signalisierte, dass er Ausreden nicht gelten lasse. Dass Beckmann das ungewohnte Freiluftbecken als Grund für den zeitlichen Rückstand seiner Athleten nannte, war allerdings auch nicht ganz nachvollziehbar – immerhin wurden bei den Titelkämpfen acht Weltrekorde aufgestellt.

In seiner Schlussbilanz nannte der Sportdirektor Namen. „Die Leistungen von Thomas Rupprath, Steffen Driesen, Helge Meeuw, Marco di Carli und Paul Biedermann sind deutlich hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben“, sagte er wie ein Lehrer, der öffentlich Zensuren erteilt, „dafür muss ich Anne Poleska, Antje Buschschulte, Sarah Poewe, Annika Liebs, Jana Henke, Mark Warnecke, Christian Hein und Stefan Herbst besonders hervorheben.“ Die Musterschüler Poleska, Buschschulte und Warnecke hatten mit ihren Einzelmedaillen den größten Teil dazu beigetragen, dass Deutschland in Montreal erneut die beste europäische Schwimmnation war. „Aus solchem Holz müssen Schwimmer geschnitzt sein“, so Beckmann.

Offenbar wussten im DSV-Team aber nicht alle, welche Vorbilder in ihren Reihen schwimmen. „Ich habe mich im Trainingslager in Sardinien schon gewundert, dass ich immer am längsten im Becken war“, sagte Antje Buschschulte und machte damit ziemlich deutlich, dass bei den Kollegen nicht nur im Wettkampf, sondern auch im Training oft der letzte Wille fehlt. „Wir haben zu häufig Schwächen im Start- und Wendebereich“, sagte Ralf Beckmann, „und wir sehen zu häufig deutsche Schwimmer, die am Ende ihrer Rennen einen Geschwindigkeitsverlust haben.“ Vermutlich wollte er damit das Gleiche ausdrücken wie seine Vorzeigeschwimmerin.

Schon für August hat er deshalb eine Trainingsmaßnahme „für diese Klientel“ angeordnet, in der speziell die Sprungkraft geschult werden soll. Beckmann, der mit einiger Sicherheit im Februar einen neuen Vertrag mit dem DSV unterschreibt, der bis Peking 2008 gültig sein wird, hat sich also entschlossen, die Schlagzahl auf dem Weg zu den Olympischen Spielen zu erhöhen. Er wolle in dieser Phase auch „die Eigenverantwortlichkeit“ der Athleten verstärken. Dass er auf diesem Weg auf die Heimtrainer angewiesen ist, wird der 58-Jährige wissen. Deren Kommunikation untereinander scheint übrigens auch verbesserungsbedürftig zu sein, wie es in Montreal hieß. Neben einer umstrittenen Strukturreform hat Ralf Beckmann also noch einige Baustellen auf dem Weg nach Peking.

Dass die Beckenschwimmer im Blickpunkt stehen, ist bei der WM üblich. Zum Glück für den DSV zählen zur Medaillen-Gesamtbilanz auch die Langstreckenschwimmer (1/3/0) und die Wasserspringer (0/2/1), die in Montreal so erfolgreich waren wie erhofft. Die deutsche Delegation durfte also trotzdem zufrieden die Heimreise antreten.