Stint geht’s an die Gurgel

Der Rückgang der Stint-Population in der Tideelbe ist besorgniserregend. Lange war nicht klar, was sich da abspielt. Ein neues Gutachten bringt nun ein wenig Licht ins Dunkel

Der Stint: Ein eher unauffälliger Fisch, aber dennoch eine ökologische Schlüsselart Foto: Carmen Jaspersen/dpa

Von Harff-Peter Schönherr

Der Stint ist ein Fisch, der nicht sonderlich auffällt. Gut, manchem schmeckt er, in Butter­ und Speck gebraten, komplett mit Gräten und Schwanz – eine Frage maritimer Tradition. Aber dass sein Vorkommen in der Tideelbe bei Hamburg seit Jahren­ stark sinkt, stört viele Menschen nicht besonders. Das ist fatal.

Der kleine Meeresbewohner ist im Unterlauf der Elbe eine der ökologischen Schlüsselarten, als Nahrung für Raubfische und Seevögel. Dass er sich hier so rar macht, zeigt, dass etwas nicht stimmt. Hier, in den sandigen Flachwasserzonen, laicht er ab März. Die Entwicklungsphase der Larven geht dann bis Juni. Aber von regem Leben kann keine Rede sein.

Ende Februar erschien eine Analyse zu möglichen Einflussfaktoren auf die Stintpopulation. In Auftrag gegeben von der Hamburger Stiftung Lebensraum Elbe beim Bremer Gutachterbüro­ Bioconsult. Darin heißt es ganz klar: Der Bestand­ hat sich „seit 2011 deutlich verringert“. Es ist von „multiplen Stressoren“ die Rede, deren­ Beeinträchtigungs-­Intensität teils „deutlich zugenommen“ habe, einem „kumulativen Zusammenwirken“ von Faktoren.

Zu wenig Sauerstoff

Kühlwasserentnahmen spielen eine Rolle, außerdem führen Trübungswolken infolge des Ausbaggerns der Fahrrinne und Unterhaltungsarbeiten zu „Einsaugung, Habitatveränderung, Vergrämung“ des Stints. Der Einfluss von „in ihren Wirkungen weitgehend unerforschter Schadstoffe“ könne laut Gutachten „nicht sicher ausgeschlossen werden“. Langfristige Belastungen wie der „ausgeprägte Sauer­stoffmangel“ könnten „nunmehr verstärkt wirksam werden“. Hinzu kommt der Verlust von Flachwasserzonen im Mühlenberger Loch, das im Zuge der Werkserweiterung von Airbus in Finkenwerder teilweise zugeschüttet wurde. Vorher war hier der Rückzugsraum des Stints.

Rückzugsgebiet zerstört

„Der bisherige Rückgang der Stintbestände hat bereits heute negative Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem der Tideelbe“, schreibt das Aktionsbündnis Lebendige Tideelbe, dem auch BUND, Nabu und WWF angehören. „Brechen die Stintbestände endgültig zusammen, wären auch diese Arten für die Elbe wohl für immer verloren.“ Das Bündnis fordert daher vom Senat, alle Baggerarbeiten zur Unterhaltung der Elbe bis Ende Juni sofort zu stoppen, zudem die Baggerarbeiten zur aktuellen Elbvertiefung, für die immerhin 40 Millionen Kubikmeter Sediment aus der Fahrrinne entnommen werden sollen.

Die Probleme für den Stint haben also vielfältige Ursachen. Eines ist auch, dass Kraftwerke der Elbe Wasser für die Kühlung der Anlagen entnehmen. Auch das Steinkohlekraftwerk Moorburg von Vattenfall, das größte Kraftwerk Norddeutschlands, hält es so. Immerhin entnimmt Moorburg derzeit nicht mehr bis zu 64,4 Kubikmeter Flusswasser pro Sekunde. Denn seit Mai 2017 wird das Kraftwerk, die Folge einer Klage des BUND, mittels Hybridkühlturm gekühlt. Das reduziert den Flusswasserbedarf auf einen Kubikmeter pro Sekunde. Aber diese Verbesserung ist vielleicht nur temporär.

Moorburg stelle, sagt Jan Dube, Sprecher der Hamburger Umweltbehörde, „bezüglich der Stintschädigung keine wesentliche Ursache mehr dar.“ Für den Moment stimmt das, aber Vattenfall möchte zur Durchlaufkühlung zurück, denn für den Betrieb des Kühlturms wird viel Strom benötigt, und das schmälert den Gewinn.

„Ja, von diesen Plänen wissen­ wir“, sagt Manfred Braasch, vom BUND Hamburg. „Aber Gewässer­schutz muss vor Rendite-­Interesse gehen.“ Geraten Fischeier und Fischlarven in den Kreislauf des Kraftwerks, sterben sie. Und bei 64 Kubikmeter Wasser pro Sekunde, sagt Braasch, „ist das schon eine ganz gehörige Menge, die da aus dem Fluss gelutscht wird.“

Der Streit währt schon lange und ist noch lange nicht entschieden. Es gibt ein Urteil gegen­ die Durchlaufkühlung, das 2013 vom BUND Hamburg vor dem Hamburger Oberverwaltungsgericht erstritten wurde. Es gibt auch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von 2017, dass besagt, die Verträglichkeitsprüfung zur Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie weise Fehler auf. Aber die Stadt Hamburg und Vattenfall halten seit Jahren juristisch dagegen.

Nahrung wird knapp

„Erhöhter Fraßdruck“ könne eine weitere mögliche Ursache des Stintrückgangs sein, zählt Dube von der Umweltbehörde auf, „verringerter Oberwasserzufluss, veränderte Gewässertemperaturen“. Die Oberste Fischerei­behörde Hamburgs beabsichtige daher, „ein mehrjähriges Stintmonitoring zu beauftragen“.­

Mehrjährig? Schlimmstenfalls, sagt Braasch vom BUND, „könnten wir in ein, zwei Jahren keinen Stint mehr in der Elbe haben.“ Er nennt die Entwicklung eine „krisenhafte Zuspitzung“. Und der Senat? „Der schweigt“, sagt zumindest Braasch. „Wie auch die HPA, die Hamburg Port Authority. Man ignoriert da das Problem, taucht ab.“

Und noch jemand schweigt: Vattenfall, von der taz um Stellungnahme zu den Fischverlusten durch das Kraftwerk Moorburg und zur anvisierten Rückumstellung auf Durchlaufkühlung gebeten. Aber das ist ja auch eine Antwort.