Bürger fordern LKW-Stopp

Vor fünf Wochen wurde in Dortmund ein Mädchen von einem Laster überrollt. Seitdem demonstrieren Anwohner für ein LKW-Verbot

Warum müssen LKW da fahren, wo viele Familien mit Kindern leben?

AUS DORTMUND NATALIE WIESMANN

Ein Altar aus Teddybären ziert die Verkehrsinsel zwischen zwei Fahrbahnen in der Dortmunder Nordstadt. Neben den Stofftieren erinnern Kerzen, Blumen und Beleidsbriefe an den tödlichen Unfall vor fünf Wochen, als die achtjährige Schülerin Deniz unter die Räder eines italienischen Fernfahrers geriet. „Müssen Kinder sterben, bevor sich was bewegt“, steht auf einem großen Banner, das die AnwohnerInnen über die Straße gespannt haben. An den umliegenden Häusern sind Pappschilder angebracht mit Sprüchen wie „Wir wollen keine LKW“ oder „Langsame Fahrer sind unsere Freunde, schnelle Fahrer unsere Feinde“.

Die Mallinckrodtstraße gilt bei Fernfahrern als die kürzeste Verbindung von Ost nach West. Sie ist Zubringer von einer Autobahn zur anderen und verbindet außerdem den Hafen mit einem größeren Gewerbegebiet. Fast durchgängig verläuft die Straße vierspurig. Nur bei der Unfallstelle wurde sie vor etwa zehn Jahren auf zwei Fahrbahnen reduziert, weil sie dort dicht besiedeltes Wohngebiet durchquert. Dieser Fakt hält weder LKW noch PKW davon ab, die Straße als Durchgangsstrecke zu nutzen. Der Verkehr stockt hier fast zu jeder Tageszeit, was Fußgänger dazu animiert, die Straße auch an „wilden“ Übergängen zu überqueren. Der Unfallfahrer, der im Stop-and-Go-Verkehr stand, hatte das Mädchen, das von der Schule kam und über die Fahrbahn lief, beim Wiederanfahren einfach übersehen.

Jeden Tag zünden AnwohnerInnen die Kerzen an, eine andere Person kümmert sich um die Blumen. Auch die Mutter trauert jeden Tag an der Unfallstelle, an der vor ein paar Tagen eine neue Ampel aufgestellt wurde. Immer wieder bleiben Passanten am Mahnmal stehen und sind sichtlich berührt. Nicht zuletzt wohl deswegen, weil die liebevoll gepflegte Gedenkstätte sich von der ansonsten recht verwahrlosten Stadtteil extrem abhebt.

Doch die Trauer ist bei vielen AnwohnerInnen längst in Wut auf die Verkehrsplaner umgeschlagen. An dem Abend nach dem Unfall versammelten sich 500 Menschen zu einem Protestzug. Seitdem demonstrierten die AnwohnerInnen jeden Donnerstag Abend für ein LKW-Verbot in ihrer Straße. Vor anderthalb Jahren kam ein paar Meter weiter bereits ein Mädchen auf die gleiche Art ums Leben.

Özdemir Yilmaz, der an der Unglücksstelle einen kleinen Telefonladen betreibt, hat beide Unfälle mitbekommen. Der aufgeweckte Geschäftsmann ist so etwas wie der inoffizielle Pressesprecher der AnwohnerInnen, hat in den vergangenen Wochen viele Medienvertreter an den Unglücksort geführt. „Ich kann seitdem kaum schlafen“, sagt der Vater von fünf Kindern. Wenn Yilmaz von dem Unfall erzählt, spiegelt seine braunen Augen Verzweiflung wieder, aber auch eine Menge Wut. Der Familienvater will nicht begreifen, warum der Schwerlastverkehr nicht umgeleitet werden kann. „Die Nordstadt ist doppelt so hoch besiedelt wie andere Stadtteile in Dortmund“, so Yilmaz. Viele Kinder lebten hier. Warum müssen die Spediteure ihre Transporter durch ein Wohngebiet schicken?“, schimpft er.

Der Zorn der AnwohnerInnen entlud sich auch bei einer Bürgerversammlung vergangenen Donnerstag. Dort präsentierten Stadtpolitiker, ein Vertreter des Tiefbauamts und die Polizei ihre Konsequenzen aus dem Unfall: Eine Tempo-30-Zone wird eingerichtet, drei neue Ampeln aufgestellt, Büsche sollen an den „wilden“ Übergängen Kinder am Überqueren der Fahrbahn hindern. An die Erwachsenen wird appelliert, nur noch über grüne Ampeln zu gehen.

Die Forderung der Anwohner, den LKW-Verkehr ganz aus dem Stadtgebiet zu verbannen, ließe sich nicht so einfach umsetzen, so der Tenor der Verantwortlichen. Eine Umgehungsstraße im Norden ist zwar schon länger geplant, aber der Bau sei in den nächsten fünf Jahren nicht zu realisieren, sagt Marita Hetmeyer, Bezirksvertreterin der SPD.

„Das, was sie hier vorhaben, ist doch alles nur Kosmetik“, echauffiert sich eine junge Anwohnerin, die sich als Stadtplanerin vorstellt. Das Verkehrsaufkommen wachse permanent, da helfe selbst eine Nordumgehung nicht weiter. Dieser Meinung ist auch der Grüne Stadtrat Wolfram Frebel. Bauprojekte wie das riesige Einkaufs- und Freizeitzentrum 3do am Dortmunder Bahnhof würden die Strecke kaum entlasten, prophezeit er.

Auch Yilmaz hält nichts von kleinen Lösungen. „Was bringt uns ein Tempo 30-Limit, wenn das Mädchen beim Anfahren verunglückt ist“, fragt er. Für ihn ist klar: Die Brummis müssen ganz aus der Innenstadt raus. „Wir hören nicht auf zu demonstrieren, bis hier kein Lastwagen mehr durchfährt“, kündigt er an.