Widerstand mit brechtscher List und Tücke

DIE INI (I) Seit 35 Jahren kämpft die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg für den Atomausstieg

Die Norddeutschen engagieren sich in Bürgerinitiativen gegen Verkehrsprojekte, für Tiere oder gegen Datenmissbrauch – mal laut und knallig, mal leise und beharrlich. Diese Serie stellt in loser Folge die Menschen hinter den Initiativen vor.

Das Wendland ist ein idyllisches Fleckchen. Die Elbe schlängelt sich hier in Ostniedersachsen durch weitläufige Wiesen, das gelbe „X“ findet man fast auf jedem Grundstück. Die dünn besiedelte Region an der früheren innerdeutschen Grenze mit Hauptwindrichtung Nord-West schien ein idealer Standort für ein Atomklo.

Am 22. Februar 1977 benannte Ministerpräsident Ernst Albrecht Gorleben als vorrangigen Standort für die atomaren Abfälle der Republik. „Das schlug ein, die Menschen hier waren entsetzt, aber sie hatten bereits eine Vorahnung“, erinnert sich Wolfgang Ehmke. Er ist seit der Gründung vor 35 Jahren Mitglied der Bürgerinitiative (BI) Lüchow-Dannenberg mit heute über 1.000 Mitgliedern. Das offizielle Ziel: „Stopp aller Atomanlagen, Ausstieg aus der Atomenergie sofort und weltweit.“

An die lange Zeit des Widerstandes hat Ehmke viele Erinnerungen: Der erste Treck nach Hannover 1979, mit 100.000 Menschen, die sich solidarisierten; sechs Wochen ,Republik Freies Wendland‘, in Hüttendörfern den Widerstand leben, dieses Gefühl von Freiheit und alle guten Argumente auf seiner Seite zu haben. Widerstand immer mit brechtscher List und Tücke, wie er sagt. Die geplante Wiederaufbereitungsanlage konnten sie verhindern, was blieb sind das Zwischenlager und das Erkundungsbergwerk. Der erste Atommülltransport 1984 dorthin, die erste Lieferung von Brennelementen 1995, das waren für ihn die großen Niederlagen.

Bei einem Großteil dieser Ereignisse war Franziska Behn noch nicht einmal geboren. Die 25-Jährige ist das jüngste Mitglied im aktuellen erweiterten Vorstand der BI: „Man wächst hier einfach mit dem Widerstand auf.“ Sie möchte einen Anlaufpunkt für Jugendliche organisieren, so was habe sie damals vermisst. „Früher hat man all das wahrgenommen, jetzt bin ich alt genug, auch selber etwas zu bewirken. Außerdem braucht es immer Ehrenamtliche.“ Bisher war der BI-Vorsitz rein weiblich, diesmal ist sie die einzige Frau in der Führungsriege.

„Viele neue, jüngere Leute sind jetzt mit dabei, das bringt frischen Wind“, sagt Behn. Die ältere Generation sei in ihren Abläufen ein wenig eingestaubt, aber dennoch enorm wichtig. „Herr Ehmke zum Beispiel, ein wandelndes Lexikon, den muss man dabei behalten.“ Auch der sieht die Entwicklung positiv: „Unser Widerstand ist zum Glück generationsübergreifend. Allerdings verlassen viele 20 bis 30-Jährige das Wendland, da entsteht eine Lücke. Aber wenn der nächste Castor vor der Tür steht, kommen sie aus allen Teilen des Landes wieder zurück.“

Vergangenen November fuhr der vorerst letzte Transport mit hochradioaktivem Müll in das Zwischenlager ein. Thema gegessen? Darauf angesprochen tun beide das, was sie am besten können: Sie protestieren. „Denkste Puppe! Bis 2015 soll es fünf weitere Transporte mit mittelaktivem Müll geben, ab 2015 dann 21 aus Sellafield in England“, sagt Ehmke. Behn fügt hinzu: „Aktuell ist auch das Endlagersuchgesetz von Brisanz.“ Ehmke: „Wir werden hier politisch nicht arbeitslos, auch wenn ich es mir wünschte.“ ARNE SCHRADER