Brandenburg pfeift auf Europa

Während in Berlin die Zusammenarbeit mit Stettin, Posen und Breslau inzwischen auch von der Senatskanzlei vorangetrieben wird, steht Potsdam einer solchen „Oderregion“ skeptisch gegenüber

VON UWE RADA

Zwischen Berlin und Brandenburg ist heftiger Streit über den Standort der Hauptstadtregion im erweiterten Europa entbrannt. Der Versuch des Berliner Senats, mit Stettin, Posen und Breslau eine so genannte Oderregion zu bilden, wird in Potsdam zunehmend skeptisch verfolgt.

Eine solche Oderregion, heißt es in einem Gutachten des Büros „Regionomica“, das der taz vorliegt, „begründet den Berliner Ansatz einer multilateralen Strategie“. „Die langjährigen Erfahrungen Brandenburgs in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit“, heißt es weiter, „deuten aber daraufhin, dass diese auf der bilateralen Ebene am besten funktioniert.“ Das Gutachten, das von der Gemeinsamen Landesplanung Berlin-Brandenburg (GL) in Auftrag gegeben wurde, im Wesentlichen aber die Sichtweise Brandenburgs widerspiegelt, soll am Donnerstag in Potsdam vorgestellt werden.

Als Grund für den Schwenk der großen Koalition in Potsdam vermutet man im Roten Rathaus die Neuausrichtung der Politik von Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Dessen Konzentration auf den Berliner Speckgürtel bedeute nicht automatisch auch eine bessere Zusammenarbeit mit Berlin, heißt es. Bestes Beispiel dafür: Eine ursprüngliche Vereinbarung von Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) und Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS), gemeinsam zur ersten Konferenz der Oderregion im nächsten Frühjahr einzuladen, ist von Brandenburger Seite aufgekündigt worden. Offenbar will man sich in der Potsdamer Staatskanzlei ganz auf die EU-Förderung aus Brüssel konzentrieren und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ansonsten auf die Verbesserung der Verkehrsanbindungen und touristische Angebote mit der Woiwodschaft Lubuskie konzentrieren.

Berlin dagegen setzt mit Nachdruck auf die Entwicklung eines grenzüberschreitenden Wirtschaftsraums mit den westpolnischen Metropolenräumen. Unterstützt wird diese Politik inzwischen nicht mehr nur von der Wirtschaftsverwaltung, sondern auch von Berlins Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). In einem Gutachten, das ihre Verwaltung an das Berliner Consulting-Büro Christoph Stroschein vergeben hatte, heißt es: „Nur die Bildung des gemeinsamen Berlin-Brandenburger Wirtschaftsraumes mit Polen“ könne einen weiteren Niedergang der Region aufhalten.

Andernfalls, so Stroschein, drohe der Region künftig die Gefahr eines „Mezzogiorno Zentraleuropa“. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn Berlin-Brandenburg und Westpolen von den starken Wirtschaftsräumen in Westeuropa bis ins boomende Warschau übersprungen würde.

Allerdings spart die Stroschein-Studie auch nicht mit Kritik an der bisherigen Mittel- und Osteuropapolitik des Berliner Senats. Zwar gebe es „viele Einzelaktiviäten zu Europa, jedoch kein abgestimmtes und von allen Akteuren gemeinsam getragenes Konzept“, heißt es unmissverständlich. Darüber hinaus habe die mangelnde Fähigkeit der Berliner Verwaltung, ressortübergreifend zu denken und zu handeln, dazu geführt, dass „Berlin im europäischen Wettbewerb gegenüber den Mitbewerbern erhebliche Zeit verloren“ hat.

Gleichwohl bescheinigt Christoph Stroschein dem Senat, die europapolitischen Aktivitäten inzwischen besser zu koordinieren. Zu einer Veröffentlichung der Studie hat sich Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer bislang allerdings nicht durchringen können. Stattdessen hat die SPD-Politikerin – wie die anderen Mitglieder des Senats auch – auf einer gemeinsamen Kabinettssitzung der Landesregierungen von Berlin und Potsdam am 14. Januar dem Vorschlag zugestimmt, die Gemeinsame Landesplanung mit der Koordinierung der Aufgaben zu beauftragen. Das Ergebnis ist die Regionomica-Studie. Nicht wenige im Senat fragen sich deshalb, warum Berlin seinen Vorstellungen in der Gemeinsamen Landesplanung so wenig Gehör verschafft.

Trotz der unterschiedlichen Vorstellungen hofft Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf weiter auf eine Lösung. „Wir gehen davon aus, dass uns die Oderkonferenz im Frühjahr ein gutes Stück weiterbringen wird“, sagt Wolfs Büroleiter im Roten Rathaus, Horst Kahrs.