In den Wolken leben

LERNEN Damit die in Hongkong lebende Tung-Tung die Beste in der Klasse wird, muss sie nach der Schule nicht nur Hausaufgaben machen, sondern hat auch noch Nachhilfe. Bis abends um neun Uhr lernt sie

■ Der Fotograf: Ton Koene, 49, hat für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet. Seit 2006 fotografiert er. Bekannt sind seine Arbeiten über Prostitution in Nigeria und Genozid in Darfur. Koene lebt in Amsterdam.

■ Die Serie: Für die Serie „Believe“ fotografierte Koene Kinder aus aller Welt und fragte sie auch, woran sie glauben. Bisher wurden Kinder aus Lappland, Namibia, Afghanistan vorgestellt. Mit diesem vierten Teil über Tung-Tung aus Hongkong wird die Serie beendet.

FOTOS UND PROTOKOLL TON KOENE

Tung-Tung heiße ich, und ich bin elf Jahre alt. Ich lebe mit meinem Vater und meiner Mutter in Hongkong. Um sicher zu sein, dass alle Leute in dieser Stadt eine Wohnung haben, wurden riesige Hochhäuser mit mehr als vierzig Stockwerken gebaut. Sie sind höher als jeder Baum. Wir nennen Hongkong auch Betondschungel. Die Wohnungen in diesen Gebäuden sind klein. Mein Schlafzimmer ist kaum größer als mein Bett, und das Zimmer meiner Eltern ist ähnlich. Wir haben noch ein kleines Wohnzimmer und eine winzige Küche.

Wir leben sehr weit oben in so einem Hochhaus. An manchen Tagen sind wir in den Wolken. Aber meistens ist der Blick gut, dann sehe ich unter mir den Hafen und die Schiffe.

Ich habe keine Geschwister. Das ist bei vielen Familien in Hongkong so, dass sie nur ein Kind haben, weil das Leben sehr teuer ist. Wenn nur ein Kind da ist, können die Eltern ihm das Beste vom Besten geben. Aber ich fühle mich oft einsam, weil ich keinen Bruder und keine Schwester habe. Wenn man das einzige Kind ist, wird so viel von einem erwartet. Ich soll die Beste in allem sein. Nur so, glauben meine Eltern, hätte ich eine Chance, später einen gut bezahlten Job zu bekommen. Ich möchte viel Geld verdienen, damit ich meine Eltern unterstützen kann, wenn sie alt sind. Tierärztin will ich werden, weil ich Tiere liebe, vor allem junge Hunde. Ich möchte sie gesund machen, wenn sie krank sind.

Die Schule geht ungefähr bis um vier Uhr am Nachmittag. Dann muss ich Hausaufgaben machen bis um sechs. Aber danach muss ich weiterlernen. Jeden Werktag habe ich Nachhilfe bis um neun Uhr abends. Es ist sehr schwer, sich so lange zu konzentrieren, aber ich muss das machen, um die Beste in der Schule zu werden. Zweimal in der Woche habe ich noch Geigenunterricht. Meine Eltern haben mir eine wunderbare Violine geschenkt, damit ich jeden Tag zu Hause üben kann. Ballettstunden habe ich auch zweimal in der Woche.

Weil mein Unterricht sehr teuer ist, arbeiten meine Eltern Tag und Nacht, um das Geld zu verdienen für meine Kurse und Lehrer. Deshalb sehe ich sie wenig. Nach der Schule gehe ich zu meinem Großvater. Er ist 99 Jahre alt und lebt in der Nähe. Jeden Tag kocht er für mich, und wir essen zusammen, danach muss ich lernen. Aber an Sonntagen mache ich was Schönes mit meinen Eltern. Wir kochen gemeinsam oder gehen in den Zoo.

Obwohl es Unterschiede zwischen den Chinesen in Hongkong und den Chinesen in China gibt, haben wir doch eine gemeinsame Kultur. Die ist ganz anders als im Westen. In Deutschland hält man Drachen zum Beispiel für Wesen, die Gefahr und Unheil bringen. Aber in China ist ein Drache ein Symbol für Glück und positive Energie. Wir lieben Drachen und wir denken, sie schützen uns vor allem Schlechten.