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: Auch das mit der Maske, ein geschlechter­konnotiertes Problem

Das mag jetzt komisch klingen, aber er hätte sich genauso gut die Hose runterziehen können

Neulich war ich gerade mal 500 Meter und zehn Minuten von der Haustür entfernt, als ich schon drei verschiedene Arten gelernt hatte, die Mund-Nasen-Maske zu tragen: 1. fest unter den Unterkiefer gebunden (wie ein Schönheitswerkzeug aus der Antike, um ein Doppelkinn zu therapieren), 2. keck von einem Ohr baumelnd (praktisch, wenn man husten oder niesen muss, dann kann man das Tuch einfach schnell mit einer Hand vors Gesicht halten) oder, mein bisheriger Favorit, 3. in komprimierter Form als eine Art Rotzfang unter die Nase geschnallt (der Mund muss freibleiben, Aerosole stieben bekanntlich aus den Ohren).

So betreten die tapferen Masketiere alsdann Spätis, Pizzerien, Blumengeschäfte, Weinhandlungen, Biolädchen, also all jene Orte, an denen es heute das Grundgesetz zu verteidigen gilt als persönliche Freiheit des Einzelnen, sich (und andere) anstecken zu dürfen. Dass sie dabei nicht „guckt mal, ich trage eine Ma-ha-ske“ rufen, ist bemerkenswert. Auffällig, wenn auch nicht überraschend ist dabei, dass mir dieses Verhalten in Mitte viel häufiger begegnet als in Wedding.

Ich finde Cartoons im Internet meistens nicht so lustig, aber einer wird mir immer wieder angezeigt, als gäbe es einen Algorithmus, der stummes Lachen der Verzweiflung genau registriert. Darauf ist links ein Gesicht gezeichnet, dessen Nase über den aufgesetzten Mund-Nasen-Schutz herausschaut, rechts daneben eine Unterhose mit über dem Bund herausbaumelndem Pimmel.

Natürlich ist das ein Witz von der eher simplen Sorte, aber mal ehrlich: Was braucht’s denn noch, wo schon die im Namen „Mund-Nasen-Schutz“ steckende Information so vielen verborgen zu bleiben scheint?

Ehrlicherweise, da hat der Cartoon leider recht, ist das oft ein geschlechterkonnotiertes Problem. Neulich war ich beim Arzt, um ein Rezept abzuholen. Ich wartete draußen – die Praxis hat den Wartebereich nach draußen verlagert und Stühle aufgestellt –, bis die Arzthelferin, die nun als Türsteherin fungiert, wieder herauskommen würde. Es war schon spät, fast alle Plätze waren frei. Da kam aus der Praxis ein Mann, schaute links und rechts auf die leeren Stühle, um sich dann mit zufriedenem Ächzen direkt neben mich zu setzen, sich aufreizend langsam die Maske vom Gesicht zu klauben und seeeehr tief auszuatmen. Das mag jetzt komisch klingen, aber er hätte sich genauso gut die Hose runterziehen können, so fühlte sich das an.

In stummer Überforderung setzte ich mich um, direkt neben den Eingang der Praxis. Zeitgleich mit der Sprechstundenhilfe stand plötzlich eine Frau neben mir, Typ Charlottenburger Bildungsbürgerwohlstand, sie wolle bitte in die Sprechstunde, sie habe Unwohlsein und trockenen Husten und fühle sich ganz krank. Die Arzthelferin blieb gelassen und erklärte sehr freundlich den Weg zu einer bestimmten Bereitschaftspraxis, hier sei die Sprechstunde schon vorbei und die Symptome sprächen ja jetzt auch eher für einen direkten Test. Die Frau ging, merklich verstimmt, aber zielstrebig.

Eine halbe Stunde später sah ich sie wieder – in den Galeries Lafayette, unten in der Gourmetabteilung. Ich kaufte Tee, sie bummelte durchs Konfitürenregal. In mir wurde etwas sehr wütend. Gerade noch dringende Coronasymptome, aber jetzt erst mal shoppen gehen, oder wie? Aber ich sagte nichts. Ich mochte nicht Benimmpolizei spielen. Und womöglich deckte sie sich gerade nur für die Quarantäne ein? Eins muss man ihr jedenfalls lassen: Ihre Maske saß tadellos. Johanna Roth