Stromausfall

In der ersten Folge der Dokureihe „Pop/bsession“, heute um 23.20 Uhr, scheitert Arte am Mythos E-Gitarre

Eigentlich ist die elektrisch verstärkte Gitarre ein Irrtum, ein Missverständnis. Bastard einer Idee, den Ton einer Gitarre mit Hilfe elektromagnetischer Spulen zu verstärken, um diese etwa im Klangbild eines Rundfunkorchesters hörbar zu machen.

Ein in die USA emigrierter Schweizer namens Rickenbacher hat in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts als Erster an dieser Idee getüftelt. Wenig später ein Jazzgitarrist namens Les Paul. Zwei Zauberlehrlinge, die einen entfesselten Derwisch gebaren, der vor allem mit jenen Artikulationen Geschichte schreiben sollte, die kaum mehr an das Klangbild einer klassischen Gitarre erinnern.

Jene Vietnamkriegs-Bombardements beispielsweise, die Jimi Hendrix auf seiner Stratocaster imitierte. Oder das nervöse Zucken, mit dem Jeff Beck in Michelangelo Antonionis Kultfilm „Blow Up“ seine Halbakustische zu Brei haut. Denn die elektrische Gitarre wurde gerade dann zur Ikone ihrer Epoche, wenn sie gegen ihre eigentliche Bestimmung traktiert wurde. Anders gesagt: Schon ihr verzerrter Klang war ja zunächst nichts anderes als ein Fehler, eine technische Unzulänglichkeit.

Von all dem – außer vom inzwischen neunzigjährigen, ziemlich sympathischen Les Paul – erzählt „While my guitar gently weeps“ nichts. Auch nicht von den drei Akkorden, die in den Sechzigern zur Beat- und den späten Siebzigern zur Punkband genügten.

Stattdessen erzählt die erste von fünf Folgen der Dokureihe „Pop/bsession“, in denen sich Arte dem Instrumentarium der Popmusik zu nähern gedenkt, von Strebern und Klassenbesten. Von blassen Buben, die Pat Martino oder Hellmut Hattler heißen und ihren Bass und ihre Gitarre so virtuos beherrschen, dass sie es zu Dozenten an angesehenen Musikhochschulen gebracht haben. Die so gut Gitarre spielen wie Michael Stich Tennis. Und die wohl auch mit demselben sportiven Ehrgeiz ihre Tonleitern geübt haben.

„Hingabe und Besessenheit“ wird das in der Dokumentation von Tom Theunissen genannt, die doch eines kaum erklären kann: die Besessenheit der Nachkriegsmoderne für ein eigentlich längst anachronistisches Instrument.

„While my guitar gently weeps“ beschäftigt sich so ausgiebig mit phänomenalen Gitarristen, dass kaum etwas für das Phänomen Stromgitarre übrig bleibt. Und für die ihr eingeschriebenen Sehnsüchte aus Sex, Rebellion, Coolness und Exklusivität.

Ob das den übrigen „Pop/bsession“-Folgen gelingt? Ihre Themen: Schlagzeug, Synthesizer, die Plattenspieler der DJ-Kultur und die menschliche Stimme, letztlich wohl das phänomenalste aller Musikinstrumente.

CLEMENS NIEDENTHAL