Winne, der Kreuzfahrer

Ein grüner Verkehrsminister auf der rußenden Aida. Das geht doch gar nicht. Besonders wenn man Winfried Hermann heißt. Der Experte für klimatologische Lebenslügen, Peter Unfried, sagt, wo der Kreuzfahrer ein Problem hat

Von Peter Unfried

Das Dilemma: Der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann war um Pfingsten herum mit einem Kreuzfahrtschiff namens „Bella-Aida“ sieben Tage im Mittelmeer unterwegs. Ökologisch bedenklich! Schon mittelgroße Kreuzfahrtschiffe verbrennen um die 200 Tonnen Schweröl pro Tag und stoßen dabei große Mengen Kohlendioxid und Schwefel aus. Außerdem musste Hermann – Nom de Guerre: Winne – ja auch irgendwie ans Mittelmeer kommen. Weshalb sich manchen die Frage stellt: Ist das ein weiterer Beweis für die Verlogenheit der grünen Ideologen, die anderen das Fahrradfahren und die Biomöhren vorschreiben wollen und selbst auf dem Traumschiff Champagner schlürfen?

Die Antwort: Wenn auch die Schifffahrt als Ganzes einen sehr kleinen Anteil am weltweiten Gesamtausstoß von CO2 hat, so ist doch die Kreuzfahrtbranche ein boomender Bereich des Tourismus und damit ein wachsendes Klima- und Umweltproblem. Die Luxuskreuzer haben viel zu bieten, und wie immer scheut man keine Kosten; außer jene, die für die Verhinderung der Vergiftung von Umwelt und Menschen entstehen. Das Hauptproblem: als Treibstoff wird draußen auf dem Meer immer noch hochgiftiges Schweröl verbrannt, ohne Rußfilter. Das ist billiger als das weniger schädliche Marinedieselöl und derzeit noch legal. Die Hälfte des Treibstoffs wird übrigens für Heizung, Klimaanlage und die diversen Restaurants und Bars an Bord verbraucht.

Hermann hat etwas unglücklich argumentiert, als er zu seiner Verteidigung angab, der Veranstalter habe damit geworben, „neueste Umweltstandards einzuhalten“. Das Schiff hat in der Tat laut Eigenwerbung einen „Umweltoffizier an Bord“. Bei Hermanns Reise also praktisch sogar zwei. Grundsätzlich aber sind Kreuzfahrten nicht ökologisch und die „Umweltstandards“ wegen der Schwerölverbrennung in jedem Fall unzureichend, was die Anti-Umwelt-Auszeichnung von Veranstalter Aida als „Dinosaurier des Jahres 2011“ dokumentiert. Entweder weiß der Verkehrsminister das, oder er weiß es nicht – weder das eine noch das andere spricht für ihn.

Unter Umweltaspekten wäre es sicher besser gewesen, wenn er die Kreuzfahrt nicht gemacht hätte, sondern mit seinem Fahrrad im Stuttgarter Heusteigviertel hin- und hergefahren wäre. Allerdings hätte er dann unkalkulierbare Mengen Gift aus den Auspuffen der dort herumcruisenden Porsches und Mercedes eingeatmet.

Hermann hat sich aber auch nicht unökologischer verhalten als viele andere, die in diesem Jahr verreist sind oder noch verreisen. Der CO2-Ausstoß eines Interkontinentalfluges – sagen wir in die USA oder auf die Malediven – ist ungleich höher. Nun wird aber damit argumentiert, dass Hermann ja nicht irgendein Politiker sei, sondern ein Grüner, der ostentativ mit dem Fahrrad fahre. Unter Vorbildaspekten ist es wichtig, dass neben Managern, Intellektuellen, Prominenten und Medienmenschen gerade auch Politiker glaubhaft einen Ökofaktor in ihren Lebensstil und ihren Wertekanon integrieren. Das Problem ist aber nicht, dass diejenigen nicht perfekt sind, die vorangehen, sondern dass es viel zu wenige Leitfiguren des Neuen gibt. Solche braucht es in der CDU, in der SPD und übrigens auch bei den Grünen. Da ist Hermann einer von zu wenigen.

Der unabsichtliche oder absichtliche Argumentationsfehler liegt darin, dass jemand, der ökologisches Bewusstsein hat und propagiert, es selbst in allen Lebenslagen anwenden muss, sonst ist er ein Heuchler und Betrüger – und moralisch nicht mehr berechtigt, sich gegen Klimawandel und für Energiemoderne zu engagieren. Das ist sehr kurz gedacht, aber der dahinterstehende Gedanke ist noch kürzer: dass jemand, der sich nicht um Klimawandel schert, so viel Kreuzfahrten machen kann, wie er lustig ist, denn er will das Problem ja nicht lösen. Angreifbar ist jemand erst, wenn er sich an der Lösung des Problems beteiligen will. Aber nicht, wenn er das Problem ignoriert. Bei solchen „Entlarvungen“ geht es immer auch darum, eigene Lebensstiländerungen zu verhindern und das eigene Nichthandeln zu rechtfertigen. Das Engagement für Klimagerechtigkeit wird selbst im Jahr 2012 noch nicht als normal und notwendig, sondern als anmaßend und als Bedrohung empfunden.

In Fall von Minister Winfried Hermann ist es wohl so, dass er halt in bestimmten Bereichen die ökologische und damit kulturelle Moderne lebt – und in anderen nicht. Damit ist er weiter als viele andere. Im Übrigen war es seine erste Kreuzfahrt und soll, wie man hört, auch seine letzte gewesen sein. Keinesfalls übersehen darf man auch seinen Hinweis, dass er die Kreuzfahrt auf Wunsch seiner Frau antrat. Wenn das so war, opferte Hermann seinen ökologischen Humanismus und die Parteilinie dem höchsten menschlichen Wert – der Liebe.

Dafür sollten selbst die „Stuttgarter Nachrichten“ Verständnis haben.

Peter Unfried ist Chefreporter der taz und Autor von „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Er ist Experte für die kulturellen und gesellschaftlichen Lebenslügen in Sachen Klimakultur und Energiewende.