Zeltmutter wird Klosterschwester

Die neuen Betreiber des Tempodroms entlassen mehr als zwei Drittel der Mitarbeiter. Gründerin Irene Moessinger geht ins Kloster, wird Schwester Irene und schreibt ein Buch

Irene Moessinger und ihr Schwiegersohn können sich nicht leiden. „Das Kind, das wir geschaffen haben, wurde verheiratet“, sagt die Tempodrom-Gründerin, die aus der bekannten Veranstaltungsgesellschaft ausscheidet. Moessinger spielt auf die neuen Eigentümer der Tempodrom-Veranstaltungsgesellschaft an. Die hatte die Münchner Treugast in der vergangenen Woche übernommen.

1980 hatte sich Moessinger von einer Erbschaft ein Zirkuszelt gekauft und darin das Tempodrom gegründet. 1994 musste das Veranstaltungszelt seinen Platz neben dem heutigen Kanzleramt räumen. Eine Millionenabfindung steckt Moessinger in das neue Betonzelt am Anhalter Bahnhof. Doch trotz großzügiger Unterstützung durch das Land mussten sowohl der Gebäudeeigner als auch die Veranstaltungsfirma Insolvenz anmelden.

„Meine Tochter geht jetzt eigene Wege. Aber ich vertraue diesem Gebäude und denke, es geht seinen Weg auch ohne mich“, sagt Moessinger. Zusammen mit Partner Norbert Waehl verließ sie gestern das Unternehmen, die beiden werden vom neuen Eigentümer nicht mehr gebraucht. Zusammen mit den Geschäftsführern gehen „viele gute Seelen“, sagt Moessinger: 25 der 34 MitarbeiterInnen würden von der Treugast entlassen, gerade neun hätten in den vergangenen Tagen ein Übernahmeangebot zu gleichen Konditionen erhalten. Dem Großteil der Angestellten sei zum 31. August gekündigt worden, zudem flatterte den Betroffenen eine sofortige Freistellung bis zum Entlassungstag in den Briefkasten.

„Wir haben alle unser Bestes gegeben“, beteuert Moessinger. Sie habe es geschafft, die Veranstaltungsgesellschaft des Tempodroms rentabel zu betreiben. Norbert Waehl vermutet, dass die Treugast neue Pachtverträge bekommen hat. „Aber uns hat keiner in die Entscheidungen eingebunden.“ Deshalb wollen Moessinger und Waehl die Treugast auch nicht beraten – sie wüssten ja von nichts.

Die beiden ziehen sich lieber ganz aus der Branche zurück und verlassen Berlin. Waehl will noch nicht verraten, was er in Zukunft macht. Moessinger schon: „Ich kriege doch keine Rente“, jammert sie. Auch wenn sie stolz auf das sei, was sie erreicht habe: Sie müsse sich einen Job suchen, den sie bis zum Lebensende machen kann, und die Veranstaltungsbranche ist ihr dafür zu stressig. Ihr Plan: Vorübergehend ins Kloster gehen und ein Buch schreiben, auch wenn das für Mütter eigentlich problematisch ist. Denn unbefleckt hat Moessinger ihr Kind nicht empfangen: Das Tempodrom war in den letzten Jahren wegen immer höherer Baukosten ein riesiger Skandalfall. An der Gründerin ist das nicht spurlos vorbeigegangen. Jetzt muss sie irgendwie Geld verdienen. Das Kind will schließlich nicht für sie aufkommen. Martin Machowecz